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Frankfurter Rundschau, 23. Dezember 2010 |
Joachim Lange |
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 21. Dezember 2010
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Verloren im Labyrinth
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Calixto Bieito, Regie, und Daniele Gatti, musikalische Leitung,
erregen in München die Gemüter mit einem etwas anderen „Fidelio“ |
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Wenn der Name Calixto Bieito auf dem Programmzettel steht, dann
weckt das eine bestimmte Erwartung. Doch der Katalane, der einst
mit seinem Brachialrealismus Furore machte, ist längst zu einem
der Erben eines Musiktheaters geworden, dem es um
gesellschaftliche Relevanz und um die Stücke geht. Sein Münchner
„Fidelio“ löste jetzt zwar auch ein heftiges Pro und Contra aus,
doch nicht den vermarktungsträchtigen Skandal, auf den
Staatsopern-Intendant Niklaus Bachler vielleicht spekuliert
haben mag.
Radikal ist Bieito auch diesmal. Aber eher in
der Verweigerung des von ihm Erwarteten. Und bei seinem Ansatz.
Denn dieser „Fidelio“ ist kein drastisch bebildertes Statement
gegen die Gewalt der Diktatoren oder Entgleisungen der
Demokratien. Bei ihm bleiben nicht nur die immer etwas heiklen
Sprechtexte und das tändelnde Singspiel auf der Strecke. Auch
vom musikalischen Pathos, mit dem ein von der Utopie befeuerter
Jubel Freiheit und Gattenliebe feiert, bleibt szenisch nichts
übrig. Dafür zeigt er eine tiefe Verunsicherung, die gerade im
Kontrast zur Musik ihre Wirkung entfaltet.
Wie ein
Leitmotiv für das Bühnenbild von Rebecca Hingst zitiert Leonore
zu Beginn einen Text von Jorge Luis Borges. Das ausweglose
Labyrinth, von dem da die Rede ist, füllt die Bühne der Münchner
Oper aus: zwei hintereinander stehende Konstrukte, deren
Konturen mit Neonleuchten nachgezeichnet sind.
In der
Ouvertüre (Leonore 3) wirkt das wie Stromstöße. In diesem
Labyrinth sind sie alle gefangen, von Ausweglosigkeit
traumatisiert und auf sich selbst zurückgeworfen. Auf seiner
Suche nach den Gefängnissen in uns selbst fordert Bieito seinen
Sängern artistische Höchstleistungen ab. Ihre halsbrecherischen
Kletteraktionen (bei denen sie sich immer wieder an den
Geländern anklicken müssen), haben etwas vom metaphorischen
„Menschen am Draht“. Und so rennen sie wie Laborratten die
Leitern rauf und runter. Einige schweben, was manchmal wie ein
Höllensturz in den Abgrund Mensch aussieht.
Zu Beginn des
zweiten Aktes kippt der vordere Teil dieses Bühnenlabyrinthes
dann langsam nach hinten weg. Zum still spektakulären Höhepunkt
wird ein Innehalten vor dem Finale. Unmittelbar vor der Ankunft
des Ministers schweben drei Käfige mit Musikern herab, die mit
einem Teil aus Beethovens Streichquartett op. 132 jeden Jubel
mit stiller musikalischer Weisheit und einer tiefen Traurigkeit
konterkarieren. Den Auftritt des Ministers, dessen Erscheinen
alles einrenkt, zeigt Bieito als Akt surrealer Willkür. Der, à
la Jack Nicholson in Joker-Narrenmaske eingreifende Don Fernando
schießt zur allseitigen Verblüffung zunächst auf Florestan. Als
das nicht funktioniert , schreibt er ihm das Wort „FREI“ auf das
Schild, das er wie alle anderen um den Hals trägt. Doch
Florestan entkommt dem Labyrinth und sich selbst nicht mehr.
Bieito setzt dem utopischen Optimismus des bürgerlichen
Bekenntniswerks vom Anfang des 19. Jahrhunderts einen tief
sitzenden psychologisch grundierten Pessimismus der Gegenwart
entgegen. Das verlässt zwar die gewohnten Koordinaten für
Beethovens einzige Oper, entfaltet aber in seiner
Geschlossenheit eine konsequente Wucht.
Leider war die
musikalische Seite des Abends nicht von der gleichen Stringenz.
Bereits nach der Pause wurde Daniele Gatti mit etlichen Buhs
begrüßt, wohl weil seine nicht immer sehr präzise Gangart zu
indifferent blieb. Bei den Sängern überzeugte vor allem Wolfgang
Kochs Don Pizarro, diabolisch bis zur Selbstverletzung, eine
Elementargewalt des Bösen. Franz-Josef Selig stattete seinen
Rocco mit kultivierter Eloquenz aus. Jonas Kaufmann
liefert nach einem etwas kehligen Anlauf das erwartete
Florestan-Strahlen. Anja Kampe hatte große Mühe, ihren
darstellerisch überzeugenden Wechsel zwischen Fidelio und
Leonore mit entsprechender dramatischer Leuchtkraft
auszustatten. Steven Hume (Don Fernando), Jussi Myllys (Jaquino)
und vor allem Laura Tatulescu folgen stimmlich solide und mit
darstellerischer Hingabe Bieitos Rollencharakterisierung.
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