Als der Regisseur Hans Neuenfels in Bayreuth mit Jonas
Kaufmann seinen rattenfängerischen "Lohengrin" erarbeitete, gab
es keine einzige Regie-Idee, die der Begehrteste aller deutschen
Star-Tenöre als Zumutung hätte empfinden können. Jetzt, fünf
Monate später beim neuen Münchner "Fidelio", gerät Kaufmann an
einen anderen für Erregungswellen zuständigen Inszenator: den
Spanier Calixto Bieito, der bisweilen als "Erst ab 18"-Regisseur
gehandelt wird.
Im gesangstechnisch
heiklen Duett "O namenlose Freude" zum Beispiel muss der Autist
Florestan seinen Fetisch Kamm zur Seite legen, in Windeseile den
Schlafanzug ab- und Abendrobe anlegen, während ihm seine
Retterin und Gemahlin, die warmherzige Anja Kampe, gerade ihre
schwarze Unterwäsche zeigt. Worauf konzentriert man sich da als
Sänger? Deutschlands Liebling Kaufmann begegnet der
Herausforderung bravourös. Für den nächsten Moment hat
Bieito wirklich eine grandiose Idee. Vor dem Schlussbild steht
nämlich statt der dritten Leonoren-Ouvertüre, die bereits zu
Beginn des Abends erklang, ein später Streichquartettsatz,
dargeboten von herabschwebenden Musikern in Käfigen: Beethovens
"Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit".
Im
ersten Akt jedoch gibt es viel zu viel zirkushafte Artistik,
geräuschvoll absolvierte Kletterpartien in einer labyrinthischen
Monumental-Installation mit Neonröhren und Acrylflächen
(Ausstattung: Rebecca Ringst). Tänzer, Choristen, auch die armen
Solisten kommen dabei außer Atem: Laura Tatulescu als
Marzelline, Franz-Josef Selig als Rocco, Wolfgang Koch als
Pizarro. Sie alle werden uns als bemitleidenswerte Gefangene
ihrer Obsessionen gezeigt, vor denen sie fliehen wollen, ohne zu
wissen, wohin.
Bieito gibt sich tiefsinnig, bietet statt
der originalen Dialoge Texte des Argentiniers Jorge Luis Borges.
Sein Desinteresse an politischen Aspekten des "Fidelio"
bestätigt die finale Auslegung der Don-Fernando-Figur als
Joker-Batman-Zitat. Der Minister erschießt Florestan hier, damit
ihn Leonore, die Pizarro zuvor mit Säure übergossen hat,
symbolisch noch einmal zum Leben erwecken darf.
Hätte im
Graben nicht Daniele Gatti, der schleppende Tempi liebt, sondern
ein drahtiger Dirigent gestanden, der Impulse der
Originalklangszene an das Bayerische Staatsorchester
weiterzugeben bereit gewesen wäre: Es hätte auch musikalisch ein
anregender Abend werden können.