Mannheimer Morgen, 23. Dezember 2010
Markus Thiel
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 21. Dezember 2010
Wenn Regisseure Wirkung in der Ausstattung suchen
 
Musiktheater: Calixto Bieito inszeniert Beethovens "Fidelio" in München
 
Monatelang gesucht. Den Busen mit einer Binde platt gebunden, in Männerkleider geschlüpft - und dann das: Ein Häufchen Rest-Mann kauert traumatisiert am Boden. Erkennt die rettende Gattin kaum, fährt sich - nur diese Würde bleibt ihm - mit dem Kamm durch die Locken. Und als der langsame Satz aus Beethovens a-Moll-Quartett op. 132 erklingt, wird offenbar: Nichts ist hier ge- oder erlöst. Zwei Fremdgewordene sitzen nebeneinander. Für vier, fünf Minuten vergisst die Inszenierung endlich ihr metallklapperndes Treppauf-Treppab, ihre bald lähmende Aufgeregtheit, ihre monumentale Zeichenhaftigkeit.

Regisseur Calixto Bieito hat bei seinem späten Debüt an der Bayerischen Staatsoper offenbar eine Extra-Portion Kreide genossen. "Fidelio" einmal nicht als Fascho-Drama, das ist sympathisch. Doch müsste im ersten Akt mehr passieren, als Figuren durch eine vertikale Labyrinth-Konstruktion zu jagen (Bühne: Rebecca Ringst). "Fidelio" als geistiges Gefängnis, als Irrweg-Innenwelt: Passt perfekt zum Stück, ist aber schnell auserzählt und liefert dann nur noch in Höhe und Breite auseinandergezogenes Rampentheater.

Der Blick von oben

Bieito mag das geschwant haben, lässt er doch am Beginn des zweiten Akts die Konstruktion in die Horizontale kippen und Florestan durch die Wände irren. Das Problem ist weniger das Konzept, sondern Bieitos Perspektive: Wie von oben und weit entfernt blickt er auf seine Figuren. Spielt mit ihnen, delegiert Wirkung an die Ausstattung, statt Charaktere von innen heraus zu erfüllen.

Ein paar Ausnahmemomente gibt es. Etwa im Falle von Pizarro, der von "Tod und Wunde" raunt, sich als Maso-Macho mit dem Messer ritzt. Wolfgang Koch führt vor, dass man die Rolle nicht aufs Brüllen verengen muss. Oder im Falle von Leonore: Anja Kampe, mit reicher Mittellage und farbenreicher Lyrik gesegnet, muss sich zwar die Höhen ertrotzen. Doch gerade das Ausbleiben der vokalen Triumphe kommt der Gestaltung zugute. Und dass sich Bieito im zweiten Akt endlich zu seinen Figuren hinunterbeugt, sichert dem Abend starke Minuten: Wenn der panische Florestan, bekleidet nur mit einem Pyjama, über den Boden geschleift wird, erzählt das mehr über seine Situation als jede Blut-Schweiß-Tränen-Dosis. Jonas Kaufmann liefert ein Rollenporträt, wie man es derzeit nicht besser bekommen kann. Markig in den Ausbrüchen, fast mühelos in der höllischen Arie, nie manieriert im Lyrischen.

Dirigent Daniele kommt übers uninspirierte Verbuchen der Partitur kaum hinaus. Am Ende entert nicht der rettende Minister die Bühne, sondern als zynische Pointe der "Batman"-Joker (Steven Humes). Was bleibt? Gewiss die klugen Texte von Jorge Luis Borges, mit denen Bieito die Holperworte eliminierte. Und der Augenblick vor dem Finale: Dieses Streichquartett-Adagio muss "Fidelio"-Pflicht werden.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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