Monatelang gesucht. Den Busen mit einer Binde platt gebunden, in
Männerkleider geschlüpft - und dann das: Ein Häufchen Rest-Mann
kauert traumatisiert am Boden. Erkennt die rettende Gattin kaum,
fährt sich - nur diese Würde bleibt ihm - mit dem Kamm durch die
Locken. Und als der langsame Satz aus Beethovens a-Moll-Quartett
op. 132 erklingt, wird offenbar: Nichts ist hier ge- oder
erlöst. Zwei Fremdgewordene sitzen nebeneinander. Für vier, fünf
Minuten vergisst die Inszenierung endlich ihr metallklapperndes
Treppauf-Treppab, ihre bald lähmende Aufgeregtheit, ihre
monumentale Zeichenhaftigkeit.
Regisseur Calixto Bieito
hat bei seinem späten Debüt an der Bayerischen Staatsoper
offenbar eine Extra-Portion Kreide genossen. "Fidelio" einmal
nicht als Fascho-Drama, das ist sympathisch. Doch müsste im
ersten Akt mehr passieren, als Figuren durch eine vertikale
Labyrinth-Konstruktion zu jagen (Bühne: Rebecca Ringst).
"Fidelio" als geistiges Gefängnis, als Irrweg-Innenwelt: Passt
perfekt zum Stück, ist aber schnell auserzählt und liefert dann
nur noch in Höhe und Breite auseinandergezogenes Rampentheater.
Der Blick von oben
Bieito mag das
geschwant haben, lässt er doch am Beginn des zweiten Akts die
Konstruktion in die Horizontale kippen und Florestan durch die
Wände irren. Das Problem ist weniger das Konzept, sondern
Bieitos Perspektive: Wie von oben und weit entfernt blickt er
auf seine Figuren. Spielt mit ihnen, delegiert Wirkung an die
Ausstattung, statt Charaktere von innen heraus zu erfüllen.
Ein paar Ausnahmemomente gibt es. Etwa im Falle von Pizarro,
der von "Tod und Wunde" raunt, sich als Maso-Macho mit dem
Messer ritzt. Wolfgang Koch führt vor, dass man die Rolle nicht
aufs Brüllen verengen muss. Oder im Falle von Leonore: Anja
Kampe, mit reicher Mittellage und farbenreicher Lyrik gesegnet,
muss sich zwar die Höhen ertrotzen. Doch gerade das Ausbleiben
der vokalen Triumphe kommt der Gestaltung zugute. Und
dass sich Bieito im zweiten Akt endlich zu seinen Figuren
hinunterbeugt, sichert dem Abend starke Minuten: Wenn der
panische Florestan, bekleidet nur mit einem Pyjama, über den
Boden geschleift wird, erzählt das mehr über seine Situation als
jede Blut-Schweiß-Tränen-Dosis. Jonas Kaufmann liefert ein
Rollenporträt, wie man es derzeit nicht besser bekommen kann.
Markig in den Ausbrüchen, fast mühelos in der höllischen Arie,
nie manieriert im Lyrischen.
Dirigent Daniele
kommt übers uninspirierte Verbuchen der Partitur kaum hinaus. Am
Ende entert nicht der rettende Minister die Bühne, sondern als
zynische Pointe der "Batman"-Joker (Steven Humes). Was bleibt?
Gewiss die klugen Texte von Jorge Luis Borges, mit denen Bieito
die Holperworte eliminierte. Und der Augenblick vor dem Finale:
Dieses Streichquartett-Adagio muss "Fidelio"-Pflicht werden.