.So tief wie das Bohrloch im Golf von Mexiko muss wohl der
Kerker gelegen sein, in dem Florestan als Staatsfeind
dahinvegetiert. Denn viel Zeit benötigen der Kerkermeister Rocco
und die als Mann verkleidete Leonore, bis sie - während das
Orchester schweigt - unter Höllenlärm und begleitet von
menschlichen Flugobjekten tief unten im Verlies ankommen.
Doch nicht in Dunkelhaft ist Florestan hier dem Hungertod
ausgeliefert, sondern er robbt vor der von der Bühnenbildnerin
Rebecca Ringst gestalteten, in grün-fluoreszierendes Licht
getauchten Fassade einer schicken Designerwohnung hin und her.
Und nicht nur trocken Brot hat Leonore alias Fidelio für ihren
Geliebten im Tiefsee-Marschgepäck, sondern auch ein hübsches
blaues Kleidchen für sich und einen modischen Anzug für
Florestan. Schließlich wollen beide den Kerker ja nicht in
Lumpen, sondern in Designerklamotten verlassen, nachdem Don
Pizarro als Repräsentant des Feudalismus von Leonore noch
schnell mit Nitroglyzerin übergossen worden ist. Da gab’s schon
einiges Gelächter im Publikum und muntere Zwischenrufe von den
Rängen im Münchner Nationaltheater über diesen und anderen
Schabernack bei der Neuinszenierung von Beethovens einziger
Oper.
Nicht - wie üblich - als Freiheitsfanal (gar mit
historischen Anklängen an Napoleons Schreckensherrschaft oder
die Errettung von Nationalsozialismus und Kommunismus) wollte
Calixto Bieito „Fidelio“ inszenieren, sondern ohne jeglichen
politischen Hintergrund als Parabel über die Probleme
zwischenmenschlicher Beziehungen. Und so tummeln sich die
Protagonisten auf einem mit grell leuchtenden Neonstäben
markierten Klettergestänge wie Artisten unter der Zirkuskuppel.
Ein Labyrinth der Gefühle möchte der katalanische Regisseur
hiermit aufzeigen und bleibt dabei in seinem schier unstillbaren
Drang nach stetiger Action in Albernheiten und Absurditäten
hängen, die mit Beethovens fesselnder Freiheitsoper wenig in
Einklang zu bringen sind.
Schade auch, dass der Dirigent
Daniele Gatti dem schrillen Überaktionismus der Inszenierung
sich angepasst und statt der vielen zarten Töne dieses Werkes
größtenteils nur dem Fortissimo gehuldigt hat. Allein Beethovens
im 3. Akt eingebautes Streichquartett op. 132 a-Moll, das die
Musiker in drei über der Bühne schwebenden Käfigen zelebrieren,
vermittelt das filigrane Flair großer Gefühle. Ansonsten meist
nur donnerndes Sonntagmittagskonzert.
Einzig die
sängerischen Leistungen sind ein Genuss: Neben Franz Josef
Seligs schön-schwarzem Rocco-Bass und dem perlenden Sopran von
Laura Tatulescu als Marzelline-Flitscherl, neben Wolfgang Kochs
weichem Bariton als Sandler-Gouverneur Don Pizarro und dem
mächtigen Bass von Steven Humes als weißgeschminkte Kasperlfigur
Don Fernando brilliert das unschlagbare Opern-Traumpaar
Anja Kampe und Jonas Kaufmann als Leonore und Florestan. Zwei
Stimmen, die betören.
Donnernde Buhs und
hysterische Beifallsbekundungen des Premierenpublikums für den
Regisseur, enthusiastischer Applaus für das Sängerensemble. Ein
„Fidelio“, der sich im Klettergerüst verheddert hat.