München (DK) Seit seinem Stuttgarter "Parsifal" ist er für
drastische Bilder bekannt: Der katalanische Regisseur Calixto
Bieto, der am Dienstagabend in München sein Staatsopern-Debüt
mit Beethovens "Fidelio" gab.
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Für die Gefängnis- und Befreiungs-Oper mit dem Sieg der
treuen Gattenliebe und der Gerechtigkeit hat Bühnenbildnerin
Rebecca Ringst ein raumfüllendes Labyrinth aus Metall und
Neonröhren gebaut, das faszinierend ausgeleuchtet wird (Licht:
Reinhard Traub). Nicht unbedingt ein Gefängnis, eher ein
mentales Labyrinth, in dem die handelnden Personen gefangen
sind.
Zusätzliche Texte
Gleich zu
Beginn zitiert Leonore einen Text von Jorge Luis Borges – er
heißt "Labyrinth" und spiegelt wie die anderen eingefügten
Sprechtexte eindrucksvoll Verwirrung und Verlorensein wider.
Verloren in ihren Gefühlen sind die Personen: Leonore, die durch
die Macht der Liebe ihren Gatten Florestan befreien will und von
Zweifeln geschüttelt wird, Marzelline und Jaquino, die nicht
zusammenkommen, Rocco, den vor allem das Geld interessiert – und
der bei Bieito durch seine Gefängnistätigkeit die Grenzen der
Menschlichkeit überschritten hat. Wie die anderen Menschen, die
schon zur Ouvertüre (hier statt der Fidelio-Ouvertüre die
beeindruckend aufpeitschende "Leonore III") gleich Insekten in
schwindelerregende Höhen des Labyrinths klettern und dabei an
Wände und Stäbe wie an elektrische Zäune prallen, ist auch der
politische Gefangene Florestan ein Gefangener seiner selbst,
zeigt Spuren von Hospitalismus und kämmt sich ständig manisch
das Haar.
Im ersten Teil vor der Pause wirkt die
Personenführung durch die Kletteraktionen eingeschränkt;
greifbare Profile entwickeln sich dafür im zweiten Teil
intensiver. Das mächtige Labyrinth klappt langsam zu einem
tiefen Dauerton schräg nach hinten, aus grün ausgeleuchteten
Höhen schweben Menschen an Seilen herab. Es ist, als ob die Zeit
stehen bliebe: Das Gefühl des seit Jahren gefangenen Florestan
wird beklemmend wie noch nie umgesetzt.
Ein ebenso
magischer Moment ist, das gerettete Paar Florestan-Leonore zu
erleben. Hier gibt es keine ekstatische Umarmung, sondern ein
vorsichtiges Herantasten an den anderen, eine Fremdheit zwischen
den Liebenden, die nach jahrelanger Trennung nachvollziehbar
ist. An diesem Punkt lässt Bieito das Stück stillstehen und
senkt in Käfigen von oben ein Streichquartett (Sonderlob fürs
Odeon-Quartett!) herab, das Beethovens "heiligen Dankgesang" aus
dem Streichquartett 132 a-moll mit Gänsehauteffekt spielt.
Zur Schlussapotheose kommt der Minister Don Fernando in
zweideutiger Joker-Maske und richtet irritierend die Pistole auf
Florestan. Eine Scheinerschießung, die tatsächlich die letzten
Fesseln löst und das Paar aus seiner Erstarrung löst? Oder gilt
der Schuss doch dem Bösewicht Pizarro? Etwas beklemmend
Unheimliches haftet diesem Schlussbild an – auch wenn der Sieg
der Liebe gefeiert wird.
Überraschend viel Jubel und nur
wenige Buhs gab es fürs Regieteam, überraschend viele für
Dirigent Daniele Gatti, der nach Bayreuth und Salzburg auch in
München die Geister scheidet. Auffallend seine unterschiedlichen
Tempi – von extrem gedehnt bis überdreht schnell. Seine
kontrastreiche Interpretation fügt sich jedoch nahtlos ins
Bühnengeschehen ein.
Dominanz von Kaufmann
Die Sängerriege wurde eindeutig dominiert durch
Jonas Kaufmann, der nach Lohengrin und Cavaradossi nun seine
dritte Partie an der Münchner Staatsoper singt: Die Höhen in der
Florestan-Arie kommen einwandfrei, wenngleich sein sehr
baritonal gefärbter, manchmal etwas eng klingender Tenor in
punkto Timbre Geschmackssache ist. Seine Spezialität – die
Nuancen im Piano auszuloten und sein warmes Mezzavoce – sind
allerdings betörend. Anja Kampe als Leonore bringt
extrem viel lyrische Fähigkeiten mit und eine sichere
Mittellage, die Höhen aber klingen im Laufen des Abends immer
gequälter. Positiv fallen Wolfgang Koch als stimmgewaltiger
Pizarro und Franz-Josef Selig als Rocco auf. Auch über die
Besetzung der Marzelline (Laura Tatulescu), Jaquino (Jussi
Myllys) und Don Fernando (Steven Humes) kann man nicht klagen.
Klanglich höchst differenziert präsentiert sich der Chor der
Bayerischen Staatsoper unter Sören Eckhoff. Alles in allem: Ein
bewegendes Openereignis, das kein "Schocker" geworden ist.