Abendzeitung, 22.12.2010
Robert Braunmüller
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 21. Dezember 2010
Ein Joker zum Schießen
 
„FIDELIO“ MIT JONAS KAUFMANN
 
„Batman, Burn-Out, Beethoven: Calixto Bietos „Fidelio“-Inszenierung lebt von starken Sängern, kraftvollen Bildern und schwächelt zuletzt wegen des blassen Dirigenten Daniele Gatti

Der Soziologe Max Weber sprach 1904 vom „stählernen Gehäuse“, in das der moderne Mensch eingespannt sei. Mit diesem Bild meinte er die Entmündigung des Einzelnen und den Umschlag der Vernunft in Terror. In Beethovens Befreiungsoper „Fidelio“ steht es nun als Labyrinth auf der Bühne der Staatsoper. Keine Figur wird ihm entkommen.

Der vielfach gefürchtete Calixto Bieito verzichtete auf jede billige politische Vergegenwärtigung. Ihn interessiert vor allem die existenzielle Seite der Gefangenschaft, die kurze Texte von Jorge Luis Borges und Cormac McCarthy an Stelle der Dialoge unterstreichen. Seine strenge Inszenierung vertraute ganz der körperlichen Präsenz der Sänger, die in zwei Riesengerüsten herumklettern. Dass sie sich mit Karabinern sichern, verstärkte nur die Trostlosigkeit: Es scheint, als wären sie einverstanden mit ihrer Situation.

Leonore blieb die Ausnahme. Anja Kampes Gesicht leuchtete vor Liebe und menschlicher Hingabe. In ihrer Arie fand sie, unterstützt von den fabelhaften Hornisten des Bayerischen Staatsorchesters, zu empfindsamen Tönen, ohne die Emphase schuldig zu bleiben. Besser singt und spielt diese heikle Rolle derzeit wohl niemand.

Jonas Kaufmanns exzellenter Florestan

Laura Tatulescu bot Marzellines Arie sauber auf dem Rücken liegend mit Jussi Myllys (Jaquino) obenauf. Der malt sich seine Liebeserklärung mit Lippenstift auf die Brust und kann vergeblich einen Kopfstand machen: Seine Gefühle bleiben unerhört.

Rocco war ein überforderter, dem Schnaps zugeneigter Handlungsreisender der Globalisierung. Franz-Josef Selig redete mit salbungsvollem Pathos und sang steif. Worauf auch immer der Regisseur beim Pizarro hinauswollte: es blieb undeutlich. Wolfgang Koch verletzte sich selbst mit dem Messer und sah aus wie ein böser Alberich im „Ring des Nibelungen“ aus dem Regietheaterbilderbuch.

Die Gefangenen erwiesen sich als Angestellte mit Burn-out. Leonore klebte ihnen Fotos ihres vermissten Gatten auf die Brust. Jonas Kaufmann irrte bereits früher per Double durch das Labyrinth. Das Original ließ am Beginn seiner Arie den existenziellen Aufschrei aus dem Nichts aufsteigen und wieder versinken. Selten hat ein Sänger Gesangskultur und Gottverlassenheit so perfekt versöhnt. Kaufmann traf auch die von Beethoven geforderte „an Wahnsinn grenzende, jedoch ruhige Begeisterung“ erstaunlich unforciert.

Davor beugte sich das Gerüst ohne Musik und reichlich selbstzweckhaft in die Waagrechte. Akrobaten schweben aus dem Bühnenhimmel herab, als sei’s eine Inszenierung der katalanischen Truppe La fura dels baus. Die eines Thrillers würdige Auseinandersetzung zwischen Leonore und Pizarro wirkte wieder ebenso schlüssig wie die Rückkehr des Paares zur Liebesnormalität. Dann spielt ein Streichquarett den „Heiligen Dankgesang eines Genesenden“ aus Beethovens op. 132.

Schwaches Finale, schwacher Dirigent

Mit dieser Insel des Friedens wäre die Aufführung am besten zu Ende. Aber es gibt noch das Finale. Da erscheint Steven Humes in der Maske Jokers („Batman“) als Boss des Labyrinths. Der Minister erschießt Florestan, was dieser jedoch überlebt, weil der Regisseur unerschütterlich an die Liebe glaubt. Das alles bleibt jedoch unentschieden wie der diffuse Beethoven des Dirigenten Daniele Gatti.

Der wurde ausgebuht, als hätte ihn jemand mit dem bejubelten Regisseur verwechselt. Aber es traf nicht unverdient: In der eingangs gespielten Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 bestand das Staatsorchester auf einem dumpf altmodischen Mischklang, während der Italiener damit unvereinbar mit forschem Tempo dagegenhielt. Das Holz wackelte, als würde vom Blatt gespielt. Ruhiges wie das Terzett „Euch werde Lohn“ gelang später besser. Die Langsamkeit von „O namenlose Freude“ passte ohne Emphase zum dort inszenierten Liebesrealismus. Aber ohne Emphase blieb es eine halbe Sache wie das Finale, das sich ohne Ekstase im Lärm erschöpfte.

Zu Bieitos stählernem Gehäuse hätte ein harter, historisierender Ansatz gepasst. Den Beethoven-Langweiler Kent Nagano bei diesem Chefstück durch eine noch lahmere Ente zu ersetzen und ihr ausgerechnet Fabio Luisi folgen zu lassen, kann keine Lösung sein. Auf der Bühne geht’s da mutiger zu als im Graben. Das ist feige.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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