„Das Herz wird hart durch Gegenwart bei fürchterlichen Dingen“
singt Kerkermeister Rocco in Beethovens Fidelio. Ein passendes
Motto für die Neuinszenierung der Bayerischen Staatsoper:
Regisseur Calixto Bieito stellte Sänger, Publikum und Werk in
München auf eine harte Probe.
Denn der geheime
Hauptdarsteller war das Bühnenbild von Rebecca Ringst, die
durchsichtige Labyrinth-Struktur aus Metall und Plexiglas. Es
war sowohl vertikal wie horizontal bespielbar. Zu Anfang erlebte
man es als eine neun Meter hohe Konstruktion mit mehreren
Plattformen, durch die ständig geklettert wurde und das Klappern
des Gerüsts war ein omnipräsentes Begleitgeräusch.
Auch
lenkten die Glasplatten den Klang ab, sobald im Gestänge
gesungen wurde, was je nach Sitzplatz die Akustik
beeinträchtigte. (Sobald die Sänger am Boden standen, konnte man
sie jedoch gut hören.) Da Fidelio als sinfonisch angelegtes
Kammerspiel von den Ensembleszenen lebt, war Teil 1 für Sänger
wie Publikum sehr anstrengend. Die musikalischen Spannungsbögen
zwischen den Nummern konnten nicht hergestellt werden. Einzig
die Arie der Leonore sowie der Gefangenenchor (sensationell
atmosphärisch) ragten heraus. Der Applaus regte sich nur sehr
matt.
Zu Beginn des zweiten Teils wurde Dirigent Daniele
Gatti dann mit einem Buh-Chor begrüßt, denn ein Orchester, das
nur die Töne korrekt gespielt hatte, reichte dem Publikum nicht.
Man wollte Beethovens unsterbliche Partitur blühen hören. Doch
bis auf das rasante Finale blieb es beim Mittelmaß und die
gleichen Buhs trafen Gatti nochmal beim Schlussapplaus.
Dominante Spezial-Effekte
Statt
Florestans Arie folgte eine Generalpause, in der das
portalfüllende Gerüst auf spektakuläre Weise von der Vertikalen
in die Horizontale gekippt wurde. Zappelnde Artisten flogen von
oben herab. (Ein großes Lob an all die sonst unerwähnten Frauen
und Männer der Technik, die das möglich machten!) Unmut regte
sich nochmals im Publikum: „So ein Zirkus!“ - „Buh!“ -„A Ruah
is!“
Und dann kam endlich er: Jonas Kaufmann als
Florestan. barfuß, in hellblauem Pyjama. Sein „Gott! Welch
Dunkel hier“ begann er als Hilferuf aus dem Nichts seines
Pianissimo heraus. Hüstelte und ächzte zwischendurch
besorgniserregend, aber das war wohl eine Regieanweisung.Dank
seiner Leidenschaft markierte seine Arie einen Höhepunkt des
Abends. Er berührte wie so oft durch künstlerische
Selbstbeherrschung und seine Fähigkeit buchstäblich alles zu
geben: Anstelle des besungenen schweren „Steins“ wurde der
Ärmste von Rocco und Leonore an den Füßen über die Bühne
geschleift.
In der Mordszene wurde das
Hauptproblem der Inszenierung deutlich: Bieito konnte sich nicht
zwischen Drama und Persiflage entscheiden: Wolfang Kochs Pizarro
(eine stimmgewaltige Idealbesetzung mit Vokuhila) tobte böse und
lächerlich. Leonore rettet Florestan, indem sie Pizarro eine
Schnapsflasche über den Kopf schlägt und ihn mit Säure aus einem
Kanister verätzt.
Von diesem Moment an lief Anja Kampe
zur Höchstform der großen Liebenden auf, die sie bis zum
Schluss, trotz sonderbarer Aufgaben, halten konnte. Um
die Rückkehr zum normalen Leben darzustellen, zieht sich das
wiedervereinte Paar während seines anspruchsvollen Duetts einmal
komplett bis auf die Unterwäsche aus und um. Oh namenlose
Freude. Aus Leonore wird eine Frau im blauen Kleid, die ihrem
Florestan liebevoll den Schlips bindet. Respekt für Kaufmann und
Kampe, die trotzdem das musikalische Niveau hochhalten konnten.
Der Tod kam aus der Proszeniumsloge
Don Fernando (Steven Humes mit schneidend schwarzem Bass)
entstieg als zynisch-clownesker Zombi der Proszeniumsloge. Eine
Personifkation des Todes im crèmeweißen Anzug! Er schoss
Florestan nieder; um ihn im nächsten Moment zu beglückwünschen
und ihm mit Marker ein dickes „FREI!“ auf ein Plastikschild zu
schmieren. Also befreit einen nur der Tod aus dem Kopflabyrinth?
Zumindest vokal triumphierten die edlen Frauen des Chores: Der
Schlußjubel, bot (einstudiert von Sören Eckhoff) das erwartete
Feuerwerk und versöhnte die Zuschauer.
Obwohl es nichts
zu feiern gab, klatschte sich das Münchner Publikum in
Partylaune, weil man nach all dem Bieito- und Kaufmann-Hype im
Vorfeld doch unbedingt feiern wollte: Kampe, Kaufmann und der
Chor waren die Stars des Abends. Fans und Gegner des
Calixto-Teams lieferten sich eine akustische Schlacht. Das
famose Odeon-Quartett ging dabei fast unter.
Fazit: Eine
Totgeburt für Beethoven als Werk. Aber eine prima Visitenkarte
für Bieito als Regisseur von Events wie z.B. den Olympischen
Spielen ...