Luzern. – Dieser «Eros» in der Musik, der ist gar nicht so
einfach zu finden. Das zeigte die Eröffnungsrede von Nike Wagner am Lucerne
Festival. Jedenfalls verirrte sich die Wagner-Enkelin auf ihrer
unterhaltsamen Tour d'horizon vor den Bundesräten Didier Burkhalter und
Moritz Leuenberger sowie zahlreichen Wirtschaftsführern in sehr viele
Gefilde musikalischer, wissenschaftlicher oder empirischer Erfahrungen, ohne
dem geflügelten Liebesboten und seinem Wirken in der Musik wirklich
umfassend auf die Spur zu kommen. Natürlich ist da Richard Wagners
«Tristan», Johann Strauss' «Rosenkavalier» oder Maurice Ravels «Bolero»,
aber viel mehr als diese Allgemeinplätze erotischer Kraft in der Musik
vermochte Wagner auch nicht auszubreiten.
Schon «Fidelio» ist zu diesem Thema eigentlich ein Missverständnis:
Triebkraft für die tapfere Leonore, die ihren Gatten als Mann verkleidet aus
dem Kerker des Feindes befreit, sind tiefe Liebe und eheliche Treue, die
dann am Ende auch ausgiebig gefeiert werden. Immerhin hat Ludwig van
Beethoven nicht nur für dieses Finale, sondern auch schon in den Delirien
von Florestans Kerker-Visionen glühend leidenschaftliche Musik komponiert,
die von Claudio Abbado auch entsprechend aufgeladen wurde.
Von Abbado meisterlich modelliert
Diesmal fungierte das Mahler Chamber Orchestra, das ohnehin den Kern des
gefeierten Lucerne Festival Orchestras bildet, unter seinem eigenen Namen.
Nur wenige Zuzüger aus der Garde der grossen Formation – der Trompeter
Reinhold Friedrich, der Bratschist Wolfram Christ – sassen in den
Orchesterreihen. Und gerade die Holzbläser zeigten, dass sie auch exponierte
Solostellen nicht minder klangschön und musikalisch sensibel spielen können
als Klarinettistin Sabine Meyer und Co. Ohnehin war Abbados Orchesterklang
wiederum das eigentliche Ereignis des Konzerts. Detailliert und immer wach
in den Details, unerwartet im Herausarbeiten gewisser spezieller Akzente
oder Farben, immer auf Schlankheit und filigrane Durchsichtigkeit bedacht,
modellierte er Beethovens Partitur, selbst im Jubel jedem Pathos abhold,
sondern dort oft angriffig in den Tempi, während andere Momente fast
zeitlose Seligkeit atmeten.
Auch bei den Sängern fanden sich nur erste Namen, die allerdings nicht davor
gefeit waren, mit den für Stimmen schwierigen akustischen Verhältnissen im
KKL zurechtkommen zu müssen. Sowohl Christoph Strehl als Jaquino wie auch
Rachel Harnisch als Marzelline und Christof Fischesser als Rocco eröffneten
den Abend blass und strahlenarm, aber auch eine potente Stimme wie Nina
Stemme als Leonore kam nicht ohne heikle Situationen über die Runden.
Jonas Kaufmanns gedecktes Timbre ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber
immerhin füllte er die schwierige Partie des Florestans aus, ebenso wie
die tadellosen Falk Struckmann als Pizarro und Peter Mattei als Fernando.
Aufgesetzt wirkende Inszenierung
Das Festival traute Beethovens Musik allein nicht die Tragfähigkeit für
einen Konzertabend zu und liess die Regisseurin Tatjana Gürbaca eine
halbszenische Produktion anrichten. Mit zwiespältigem Resultat, vor allem,
weil die Sänger ihre Partien und die von Gürbaca neu verfassten Sprechtexte
doch ablesen mussten. Aber auch die optischen Zutaten wirkten aufgesetzt:
Ein riesiger Ballon diente als Projektionsfläche für eher beliebige Chiffren
(eine Kerze, ein Auge). Ansonsten arbeitete die Inszenierung vor allem mit
Licht und stellte ein Meer von Kerzen zwischen die Stuhlbeine der
Orchestermusiker.
Wenn nun auch «Eros» in der klassischen Musik offenbar nicht so leicht zu
finden ist, so braucht man darüber nicht weiter traurig zu sein, denn das
Festivalprogramm in Luzern ist auch diesen Sommer so reich, vielfältig und
hochstehend wie in den vergangenen Jahren. Das Schaulaufen der weltbesten
Sinfonieorchester mit den Stars unter den Dirigenten und Solisten kennt
keine Finanzkrise, aber auch keine Angst vor anforderungsreichen
Programmierungen bis hin zu den zahlreichen Uraufführungen, die ebenfalls
längst zum Luzerner Markenzeichen geworden sind. Höhepunkt diesbezüglich ist
das Wochenende vom 11./12. September, das unter dem Motto «(z)eidgenössisCH»
einen wahren Marathon an neuer und neuster Schweizer Musik präsentiert.
|