Liechtensteiner Vaterland, 14.8.2010
Reinmar Wagner
Beethoven: Fidelio, Luzern, 12. August 2010
Eros trifft Fidelio
 
Mit dem fast schon gewohnten Musikfest unter der Leitung von Claudio Abbado hat das Lucerne Festival am Donnerstag seine Sommer-Ausgabe eröffnet. Beethovens Oper «Fidelio» läutete es ein, «Eros» heisst das Motto.
 

Luzern. – Dieser «Eros» in der Musik, der ist gar nicht so einfach zu finden. Das zeigte die Eröffnungsrede von Nike Wagner am Lucerne Festival. Jedenfalls verirrte sich die Wagner-Enkelin auf ihrer unterhaltsamen Tour d'horizon vor den Bundesräten Didier Burkhalter und Moritz Leuenberger sowie zahlreichen Wirtschaftsführern in sehr viele Gefilde musikalischer, wissenschaftlicher oder empirischer Erfahrungen, ohne dem geflügelten Liebesboten und seinem Wirken in der Musik wirklich umfassend auf die Spur zu kommen. Natürlich ist da Richard Wagners «Tristan», Johann Strauss' «Rosenkavalier» oder Maurice Ravels «Bolero», aber viel mehr als diese Allgemeinplätze erotischer Kraft in der Musik vermochte Wagner auch nicht auszubreiten.

Schon «Fidelio» ist zu diesem Thema eigentlich ein Missverständnis: Triebkraft für die tapfere Leonore, die ihren Gatten als Mann verkleidet aus dem Kerker des Feindes befreit, sind tiefe Liebe und eheliche Treue, die dann am Ende auch ausgiebig gefeiert werden. Immerhin hat Ludwig van Beethoven nicht nur für dieses Finale, sondern auch schon in den Delirien von Florestans Kerker-Visionen glühend leidenschaftliche Musik komponiert, die von Claudio Abbado auch entsprechend aufgeladen wurde.

Von Abbado meisterlich modelliert

Diesmal fungierte das Mahler Chamber Orchestra, das ohnehin den Kern des gefeierten Lucerne Festival Orchestras bildet, unter seinem eigenen Namen. Nur wenige Zuzüger aus der Garde der grossen Formation – der Trompeter Reinhold Friedrich, der Bratschist Wolfram Christ – sassen in den Orchesterreihen. Und gerade die Holzbläser zeigten, dass sie auch exponierte Solostellen nicht minder klangschön und musikalisch sensibel spielen können als Klarinettistin Sabine Meyer und Co. Ohnehin war Abbados Orchesterklang wiederum das eigentliche Ereignis des Konzerts. Detailliert und immer wach in den Details, unerwartet im Herausarbeiten gewisser spezieller Akzente oder Farben, immer auf Schlankheit und filigrane Durchsichtigkeit bedacht, modellierte er Beethovens Partitur, selbst im Jubel jedem Pathos abhold, sondern dort oft angriffig in den Tempi, während andere Momente fast zeitlose Seligkeit atmeten.

Auch bei den Sängern fanden sich nur erste Namen, die allerdings nicht davor gefeit waren, mit den für Stimmen schwierigen akustischen Verhältnissen im KKL zurechtkommen zu müssen. Sowohl Christoph Strehl als Jaquino wie auch Rachel Harnisch als Marzelline und Christof Fischesser als Rocco eröffneten den Abend blass und strahlenarm, aber auch eine potente Stimme wie Nina Stemme als Leonore kam nicht ohne heikle Situationen über die Runden. Jonas Kaufmanns gedecktes Timbre ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber immerhin füllte er die schwierige Partie des Florestans aus, ebenso wie die tadellosen Falk Struckmann als Pizarro und Peter Mattei als Fernando.

Aufgesetzt wirkende Inszenierung

Das Festival traute Beethovens Musik allein nicht die Tragfähigkeit für einen Konzertabend zu und liess die Regisseurin Tatjana Gürbaca eine halbszenische Produktion anrichten. Mit zwiespältigem Resultat, vor allem, weil die Sänger ihre Partien und die von Gürbaca neu verfassten Sprechtexte doch ablesen mussten. Aber auch die optischen Zutaten wirkten aufgesetzt: Ein riesiger Ballon diente als Projektionsfläche für eher beliebige Chiffren (eine Kerze, ein Auge). Ansonsten arbeitete die Inszenierung vor allem mit Licht und stellte ein Meer von Kerzen zwischen die Stuhlbeine der Orchestermusiker.

Wenn nun auch «Eros» in der klassischen Musik offenbar nicht so leicht zu finden ist, so braucht man darüber nicht weiter traurig zu sein, denn das Festivalprogramm in Luzern ist auch diesen Sommer so reich, vielfältig und hochstehend wie in den vergangenen Jahren. Das Schaulaufen der weltbesten Sinfonieorchester mit den Stars unter den Dirigenten und Solisten kennt keine Finanzkrise, aber auch keine Angst vor anforderungsreichen Programmierungen bis hin zu den zahlreichen Uraufführungen, die ebenfalls längst zum Luzerner Markenzeichen geworden sind. Höhepunkt diesbezüglich ist das Wochenende vom 11./12. September, das unter dem Motto «(z)eidgenössisCH» einen wahren Marathon an neuer und neuster Schweizer Musik präsentiert.



 






 
 
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