Ausgesprochen bemerkenswert war eine Kleinigkeit mit grosser
Wirkung: dass nämlich Jonas Kaufmann als Florestan die berüchtigte
Kerkerarie «Gott, welch Dunkel hier» ganz leise anfängt - und dann
anschwellen lässt. So muss das sein, so leidet man mit. Die Story um die
Befreiung Florestans bewegt sich allerdings zuerst im beschaulicheren Rahmen
des biedermeierlichen Singspiels. Da sehnen sich Mädchen nach der «Ruhe
stiller Häuslichkeit».
Spätestens beim berühmten Quartetts «Mir ist so wunderbar» jedoch wird klar,
dass noch ganz andere Hoffnungen im Spiel sind als die auf einen bescheiden
vergoldeten Ehestand. Nina Stemme als Fidelio brachte sie mit musikalischer
Inbrunst dar und überzeugte auch sonst mit feinsten stimmlichen
Nuancierungen. Denn bereits hier lässt Claudio Abbado die Bedrohungen leicht
anklingen, unter denen vor allem Fidelio weit über sich hinauswachsen wird.
Das Mahler Chamber Orchestra und das Lucerne Festival Orchestra finden im
ersten Akt die ganz feinen Tönungen, um ein fast unmerkliches Zunehmen des
tragischen Dunkels darzustellen. Die ersten Bilder des kleinbürgerlichen
Friedens streift es noch kaum. Doch dann wächst und wächst es, bis es die
ganze Bühne überschattet. Ein langes Crescendo des Entsetzens. Die Musiker
entwickeln hier alle dramatische Klangkraft, die es braucht. Die
Vielschichtigkeit und die dramatisch-motorische Belebtheit auch scheinbar
sekundärer Verläufe frappiert: Die Musik wird gespannt, in sich
kontrastreich, sogar widersprüchlich und gefährlich. Richtig gefährlich
wirds aber erst im zweiten Akt. Wenn der Bösewicht Pizarro Florestan
ermorden will. Falk Struckmann verspritzte als Don Pizarro seinen bösen
Geifer und setzte ihn gekonnt ins grelle Licht inhumaner Bösartigkeit.
Und das alles nur in der Musik. Denn Beethovens «Fidelio» wird konzertant
und damit praktisch bühnenbildlos gegeben. Zwar hängt eine Weltkugel, die
mal hell, mal dunkel aufleuchtet, wie eine zu grosse Sonne am
Konzertsaalhimmel. Doch unten auf der Bühne tobt das nackte
Menschenschicksal fast ohne Kostüme und Requisiten.
Im klaren Licht des Ehealltags
Wenn Abbado im Finale den grossen Freiheitsjubel anstimmen lässt, wenn er
den Arnold Schoenberg Chor, das grosse Orchester und das triumphale C-Dur
aufbietet und den idealistischen Höhenflug durch die Konzertsaaldecke
brechen lässt, dann ist es - von der rauschhaften Höhe dieser Musik aus
betrachtet - gar nicht mehr so wichtig, ob die Ketten des erlittenen
Unrechts in dieser Oper dramaturgisch dargestellt werden. Denn Abbado, der
Feinfühlige, tritt dann plötzlich mit grosser Geste auf: Es gibt Wichtigeres
als stimmige Operndramaturgie, auf hehre Gedanken kommt es an. Freiheit,
Humanität, wahrhaftige Liebe! Und auf die wunderbare Musik.
Ein Happy End also? Nicht ganz. An den Schluss der konzertanten Oper setzt
die Lichtregie ein leuchtendes Fragezeichen. Das Licht, das die Schlussszene
erhellt, ist grell und blendend. Ein Hinweis darauf, dass die Liebe von
Florestan und Fidelio auch im klaren Licht des Ehealltags bestehen muss?
Oder wie Nike Wagner in ihrer Eröffnungsrede zum Lucerne Festival sagte: Die
Scheidungsrate ist heute hoch. Das Thema des Festivals ist aber dieses Jahr
der «Eros». Man darf gespannt sein.
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