Wie angenehm, einmal an einem Festival keine Klagen über
fehlende Finanzen und Publikumsschwund zu hören. Das fünfwöchige Lucerne
Festival im Sommer begann am Donnerstag stolz mit "Fidelio" unter Claudio
Abbado.
Es gibt zwei Arten, mit einem Makel umzugehen. Entweder man versucht ihn zu
verbergen, oder man zeigt ihn offensiv. Und manchmal offenbart man ein
Defizit umso deutlicher, je verbissener man es zu kaschieren sucht.
KOMPENSIERT
Das Lucerne Festival Sommer hat sich am Eröffnungsabend für ein trotziges
Verbergen entschieden. Den ewigen Nachteil in der Konkurrenz mit den
Salzburger Festspielen - dass Luzern kein richtiges Opernfestival sein kann
- versuchte man mit einer Oper zu kaschieren, die "halbszenisch" aufgeführt
wurde. Nun klingt dieses Wort nicht zufällig an "halbherzig" und
"halbbatzig" an, ist es doch häufig ein Synonym für Verlegenheiten und
Notlösungen aller Art. Vor allem für den Mangel an Mitteln, ein Musikdrama
angemessen, und das heisst eben szenisch und mit dem für die Oper
bezeichnenden Miteinander von Musik, Bild und Bewegung aufzuführen.
In Luzern ist es wohl weniger der Mangel an finanziellen Mitteln, der dem
Festival Grenzen setzt und es weitgehend auf das Dasein als Konzertfestival
reduziert. Das stolze Kultur- und Kongresszentrum KKL ist einfach nicht
geschaffen für theatralische Produktionen. Es gibt weder einen
Orchestergraben noch eine Bühnentechnik, die mehr als eine Kulisse zuliesse.
Und so macht man die Not zur Tugend und lädt eine imponierende Zahl
internationaler Spitzenmusiker und -orchester für Konzerte ein. Die
Opernproduktion überlässt man dem Luzerner Theater - und, was das Weltniveau
betrifft, den Salzburger Festspielen.
AUFGEWERTET
Fürs Musikalische in Beethovens "Fidelio" sorgte Claudio Abbado (77), der
mit dem Mahler Chamber Orchestra und dem Lucerne Festival Orchestra eine
packende Interpretation lieferte. Sie profitierte von der hervorragenden
Akustik des Hauses - manches klang präsenter als aus dem Theater gewohnt, so
etwa die Streicher-Pizzikati im Quartettkanon des ersten Akts oder das warme
Streicherwogen im Duett "O namenlose Freude". Das Orchester spielte
vorzüglich.
Gewinnend auch die Sängerbesetzung, angefangen mit der dunkel timbrierten
Leonore von Nina Stemme über den höchst differenzierten, mit einem starken
Crescendo ansetzenden Florestan von Jonas Kaufmann (dem Bayreuther
Lohengrin) bis zum kernigen, textverständlichen Rocco von Christof
Fischesser und dem leichten Marzelline-Sopran von Rachel Harnisch. Der
Wiener Arnold-Schönberg-Chor sang mit viel Tiefenschärfe.
ABGELESEN
Dass die Sänger die von Tatjana Gürbaca neu eingerichteten Dialoge und
bisweilen auch die Noten ablesen mussten, war aber doch ein
Schönheitsfehler. Die handelnden Personen dieser Rettungsoper standen hinter
Podien, die notdürftig mit Tüchern verhüllt waren. Auf den Pulten lagen die
Noten mit den neuen, stark gestrafften Texten.
Grundfarbe der Kostüme war Schwarz, wobei nicht einzusehen war, warum
Marzelline ein schulterfreies Abendkleid trug und ihr Vater Rocco ein
Kurzarmhemd. Der Hosenanzug für die als Mann Fidelio verkleidete Leonore
verstand sich da schon besser. Das Halbbatzige am Halbszenischen zeigte sich
in manchem unsicher wirkenden Gang und mancher Verlegenheitsbewegung. Am
natürlichsten wirkte noch Nina Stemme als Leonore, weil sie einfach die
Gesten machte, die ihre Stimme am besten unterstützten.
Auf die im zweiten Akt sonst obligate Pistole - Leonore richtet sie nach dem
Todesurteil des Gouverneurs über ihren Mann Florestan auf den Bösewicht -
wurde verzichtet, nicht aber auf die in Theateraufführungen mit Gefangenen
unvermeidlichen grau-in-grauen Jacken und Mäntel. Nicht eben originell,
diese Halb-Inszenierung.
NACHGEDACHT
Dabei hatten doch die Festredner vor der Aufführung gerade die Qualität als
Markenzeichen des Luzerner Festivals gepriesen. "Kunst krönt Leben" - so
deutete Festivalpräsident Hubert Achermann das Kürzel KKL neu. Bundesrat
Didier Burkhalter blieb mit den Stichworten Liebe, Treue und Hoffnung nahe
am geistigen Gehalt der Beethoven-Oper.
Viel Gedankensubstanz flösste Nike Wagner in den Eröffnungsanlass. Unter dem
Titel "Eros Center Musik" wagte die Urenkelin des Komponisten eine Tour d
horizon durch die Musikgeschichte von Monteverdi bis Wolfgang Rihm unter dem
Blickwinkel des Eros. Was naturgemäss nur essayistisch und antippend
ausfallen konnte, aber zumindest - auch aufgrund der glänzenden Rhetorik -
nicht langweilte. Charmant wünschte Nike Wagner in einem finalen Schlenker
dem Festival gutes Gelingen, was sie wohl auch für ihr demnächst beginnendes
eigenes Musikfest in Weimar ("Pèlerinages") brauchen kann.
Die "höhere musikalische Erregungslust", die Frau Wagner beschwor, stellte
sich dann in der "Fidelio"-Aufführung nur teilweise ein. Die roten Kerzchen
auf dem Podium die an den Tunnel in Duisburg denken liessen, das sich wie
eine Discokugel drehende Sonnensymbol und die sonstigen szenischen Ideen von
Tatjana Gürbaca und ihrem Team offenbarten, was sie krampfhaft zu verhüllen
suchten. Wir harren der Luzerner "Salle modulable".
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