Basler Zeitung, 14.8.2010
sigfried schibli
Beethoven: Fidelio, Luzern, 12. August 2010
Die teuersten Lumpen der Welt
 
Ludwig van Beethovens Oper "Fidelio" eröffnete das Lucerne Festival
 

Wie angenehm, einmal an einem Festival keine Klagen über fehlende Finanzen und Publikumsschwund zu hören. Das fünfwöchige Lucerne Festival im Sommer begann am Donnerstag stolz mit "Fidelio" unter Claudio Abbado.

Es gibt zwei Arten, mit einem Makel umzugehen. Entweder man versucht ihn zu verbergen, oder man zeigt ihn offensiv. Und manchmal offenbart man ein Defizit umso deutlicher, je verbissener man es zu kaschieren sucht.

KOMPENSIERT

Das Lucerne Festival Sommer hat sich am Eröffnungsabend für ein trotziges Verbergen entschieden. Den ewigen Nachteil in der Konkurrenz mit den Salzburger Festspielen - dass Luzern kein richtiges Opernfestival sein kann - versuchte man mit einer Oper zu kaschieren, die "halbszenisch" aufgeführt wurde. Nun klingt dieses Wort nicht zufällig an "halbherzig" und "halbbatzig" an, ist es doch häufig ein Synonym für Verlegenheiten und Notlösungen aller Art. Vor allem für den Mangel an Mitteln, ein Musikdrama angemessen, und das heisst eben szenisch und mit dem für die Oper bezeichnenden Miteinander von Musik, Bild und Bewegung aufzuführen.

In Luzern ist es wohl weniger der Mangel an finanziellen Mitteln, der dem Festival Grenzen setzt und es weitgehend auf das Dasein als Konzertfestival reduziert. Das stolze Kultur- und Kongresszentrum KKL ist einfach nicht geschaffen für theatralische Produktionen. Es gibt weder einen Orchestergraben noch eine Bühnentechnik, die mehr als eine Kulisse zuliesse. Und so macht man die Not zur Tugend und lädt eine imponierende Zahl internationaler Spitzenmusiker und -orchester für Konzerte ein. Die Opernproduktion überlässt man dem Luzerner Theater - und, was das Weltniveau betrifft, den Salzburger Festspielen.

AUFGEWERTET

Fürs Musikalische in Beethovens "Fidelio" sorgte Claudio Abbado (77), der mit dem Mahler Chamber Orchestra und dem Lucerne Festival Orchestra eine packende Interpretation lieferte. Sie profitierte von der hervorragenden Akustik des Hauses - manches klang präsenter als aus dem Theater gewohnt, so etwa die Streicher-Pizzikati im Quartettkanon des ersten Akts oder das warme Streicherwogen im Duett "O namenlose Freude". Das Orchester spielte vorzüglich.

Gewinnend auch die Sängerbesetzung, angefangen mit der dunkel timbrierten Leonore von Nina Stemme über den höchst differenzierten, mit einem starken Crescendo ansetzenden Florestan von Jonas Kaufmann (dem Bayreuther Lohengrin) bis zum kernigen, textverständlichen Rocco von Christof Fischesser und dem leichten Marzelline-Sopran von Rachel Harnisch. Der Wiener Arnold-Schönberg-Chor sang mit viel Tiefenschärfe.

ABGELESEN

Dass die Sänger die von Tatjana Gürbaca neu eingerichteten Dialoge und bisweilen auch die Noten ablesen mussten, war aber doch ein Schönheitsfehler. Die handelnden Personen dieser Rettungsoper standen hinter Podien, die notdürftig mit Tüchern verhüllt waren. Auf den Pulten lagen die Noten mit den neuen, stark gestrafften Texten.

Grundfarbe der Kostüme war Schwarz, wobei nicht einzusehen war, warum Marzelline ein schulterfreies Abendkleid trug und ihr Vater Rocco ein Kurzarmhemd. Der Hosenanzug für die als Mann Fidelio verkleidete Leonore verstand sich da schon besser. Das Halbbatzige am Halbszenischen zeigte sich in manchem unsicher wirkenden Gang und mancher Verlegenheitsbewegung. Am natürlichsten wirkte noch Nina Stemme als Leonore, weil sie einfach die Gesten machte, die ihre Stimme am besten unterstützten.

Auf die im zweiten Akt sonst obligate Pistole - Leonore richtet sie nach dem Todesurteil des Gouverneurs über ihren Mann Florestan auf den Bösewicht - wurde verzichtet, nicht aber auf die in Theateraufführungen mit Gefangenen unvermeidlichen grau-in-grauen Jacken und Mäntel. Nicht eben originell, diese Halb-Inszenierung.

NACHGEDACHT

Dabei hatten doch die Festredner vor der Aufführung gerade die Qualität als Markenzeichen des Luzerner Festivals gepriesen. "Kunst krönt Leben" - so deutete Festivalpräsident Hubert Achermann das Kürzel KKL neu. Bundesrat Didier Burkhalter blieb mit den Stichworten Liebe, Treue und Hoffnung nahe am geistigen Gehalt der Beethoven-Oper.

Viel Gedankensubstanz flösste Nike Wagner in den Eröffnungsanlass. Unter dem Titel "Eros Center Musik" wagte die Urenkelin des Komponisten eine Tour d horizon durch die Musikgeschichte von Monteverdi bis Wolfgang Rihm unter dem Blickwinkel des Eros. Was naturgemäss nur essayistisch und antippend ausfallen konnte, aber zumindest - auch aufgrund der glänzenden Rhetorik - nicht langweilte. Charmant wünschte Nike Wagner in einem finalen Schlenker dem Festival gutes Gelingen, was sie wohl auch für ihr demnächst beginnendes eigenes Musikfest in Weimar ("Pèlerinages") brauchen kann.

Die "höhere musikalische Erregungslust", die Frau Wagner beschwor, stellte sich dann in der "Fidelio"-Aufführung nur teilweise ein. Die roten Kerzchen auf dem Podium die an den Tunnel in Duisburg denken liessen, das sich wie eine Discokugel drehende Sonnensymbol und die sonstigen szenischen Ideen von Tatjana Gürbaca und ihrem Team offenbarten, was sie krampfhaft zu verhüllen suchten. Wir harren der Luzerner "Salle modulable".


 






 
 
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