So hat man den Konzertsaal des KKL Luzern noch nie erlebt. Als
im gestrigen Eröffnungskonzert des Lucerne Festival die Gefangenen zurück in
die Kerkerverliese gehen, versinkt der ganze Bühnenbereich in absolute
Dunkelheit. Zurück bleibt nur noch ein Lichtermeer von Mahnkerzen, wie man
sie von Gedenk- und Opferstellen kennt. Die Idee des fensterlos
eingekellerten Konzertsaals, die Regisseurin Tatjana Gürbaca und
Bühnenbildner Stefan Heyne für Beethovens Fidelio vorschwebte (vgl. Ausgabe
von gestern), wird hier zum überrumpelnden Erlebnis.
Bilder stark wie Plakate
Dann, nach dem Abstieg zum Gefangenen Florestan, am Schluss des zweiten
Akts, die Befreiung: Die Sonnenkugel über dem Orchester erstrahlt - endlich!
- in gleissendem Licht und bringt alles ganz nah heran: Das Gesicht des
Sitznachbars ebenso wie den Chor und die Protagonisten auf der Bühne, die
die Befreiung von aller Tyrannei feiern.
Gürbaca und Heyne setzen damit auf plakative Gesten. Das funktioniert
prächtig, auch in den Chorszenen. Wo die Gefangenen wie Gestrandete am
Bühnenrand um das Orchester lagern, denkt man an Lager in
Katastrophengebieten. Das Thema der Tyrannei und ihrer Opfer bekommt
gespenstische Aktualität.
Dieser «Fidelio» ist damit die bislang stimmigste szenische Opernproduktion
im Konzertsaal. Sie macht aber auch die Grenzen eines solchen Experiments
deutlich: Die Umwandlung der Dialogszenen in handlungsfreie Monologe
übertreibt das oratorische Konzept, wenn die Sänger ihre Texte wie von
Rednerpulten ablesen. Zudem sorgen die gipsfarbenen Saalwände über weite
Strecken für eine kühle Atmosphäre.
Ein Ereignisse ohne Abstriche ist die Musik: Claudio Abbado dirigiert das
Lucerne Festival Orchestra, das bisher vor allem mit grosssinfonischen
Werken auftrat, in reduzierter Besetzung (im Wesentlichen das Mahler Chamber
Orchestra). Das ergibt eine griffigen, akzentfreudigen Klang und eine
Klangpalette, die Vorzüge historischer Aufführungspraxis mit Abbados frei
atmender Dirigiermagie verbindet - bis hin zum überwältigenden Jubelgetümmel
des Schlusses.
Verschwenderische Stimmerotik
Zuvor hatte Nike Wagner in ihrem pointierten Eröffnungsvortrag über das
«Eros Center Musik» behauptet, Musik vermittle Erotik am unverschlüsseltsten
- und zwar über das «körpereigene Material» der Stimme. Den Beweis dafür bot
das Konzert mit einem hochkarätigen Sängerensemble (u. a. Rachel Harnisch
als blühende Marzelline), in dem sich der Sopran von Nina Stemme und der
Tenor von Jonas Kaufmann zu verschwenderischem Wohlklang verbanden.
Zu Ende ist der Abend aber erst, wenn man Luzerns «Piazza Grande» verlässt,
wie Bundesrat Burkhalter, vom Filmfestival Locarno zurück, in seinem
Grusswort das KKL titulierte. Da wird einem bewusst, dass die Gesichter auf
der Wand, die hier installiert ist, zu den Mänteln gehören, die die Bühne
wie ein KZ-Lager zudecken. Oder zu all den Menschen, die verschwunden sind.
Ein bewegender Abend bis zum Schluss.
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