Frankfurter Rundschau, 13.8.2010
Kirsten Liese
Beethoven: Fidelio, Luzern, 12. August 2010
Fünf Minuten für einen Ton
 
„Fidelio“, Beethovens Hohelied auf die Gattenliebe eröffnet das Lucerne-Festival. Tenor Jonas Kaufmann singt den Florestan.
 

Wann und wo hat je einer so flehentlich Gott angerufen? Wenn Startenor Jonas Kaufmann, soeben noch als balsamischer Lohengrin in Bayreuth umjubelt, den ersten Ton seiner großen Kerkerszene auf einem Atemzug crescendiert, wird einem schwindlig. Gefühlte fünf Minuten hält er diesen Ton, meistert er eine der gefürchtetsten Partien seines Fachs.

Endlich hat Claudio Abbado seinen Wunsch-Florestan für seinen „Fidelio“ gewinnen können.
Beethovens Hohelied auf die Gattenliebe eröffnete das Lucerne Festival, für das der altersweise Abbado eine feste Größe darstellt wie Christian Thielemann für Bayreuth.

Schon vor zwei Jahren brachte er Beethovens utopisch ausgreifende Freiheitsoper mit dem Mahler Chamber Orchestra in Reggio Emilia und Baden-Baden in einer szenischen Einstudierung (Chris Kraus) auf die Bühne. Schon diese Produktion war bestimmt von jugendlicher Frische, Vitalität, aber auch dramatischem Ernst.

Inzwischen wurde noch mehr am klanglichen Farbenreichtum gefeilt, allem voran der finale Freudentaumel bricht sich – ohne eine ihm misstrauende, konterkarierende Regie – noch überschwänglicher Bahn denn je. Zwar hat Abbado das Orchester gewechselt, eines festen Grundstocks aber hat er sich versichert. Schließlich finden sich im luxuriösen Lucerne Festival Orchestra neben hochkarätigen Solisten auch viele Musiker des Mahler Chamber Orchestras. Auch mit dem blendend disponierten Wiener Arnold-Schoenberg-Chor gibt es ein Wiedersehen.

Kaufmann gelingt der Kraftakt mühelos

Der einzige Schwachpunkt der Koproduktion von 2008, eine unzureichende Besetzung des Gattenpaares Florestan und Leonore, ist auch behoben. Jonas Kaufmann, der nur mit seinen vielen Reisen von einem Festival zum nächsten die Sorge nährt, sich zu sehr zu verausgaben, und Nina Stemme bewältigen die ihnen abverlangten Kraftakte mühelos.

Von einem semiszenischen Arrangement eine ausgefeilte Personenregie zu erwarten, wäre eine Überschätzung der Möglichkeiten. Aber man hat selbst in konzertanten Aufführungen schon mehr Aktion auf dem Podium erlebt als in dieser sehr statischen Einrichtung von Tatjana Gürbaca. Die Berlinerin dekoriert die Bühne symbolträchtig mit einem Lichtermeer von Kerzen und grauen Gefängnisjacken. Eine Konzeption, die entbehrlich ist, zumal das Ensemble die von der Regisseurin bearbeiteten Zwischentexte nicht auswendig beherrscht.

Für die Zukunft aber verspricht das sich dem Musiktheater verstärkt öffnende Luzern Einiges: Voraussichtlich ab 2012 wird das Festival über einen modernsten Musiktheateransprüchen gerecht werdenden „Salle Modulable“ verfügen, in dem sich Zuschauertribünen und Bühnenelemente individuell gestalten lassen. Besonders für zeitgenössische Komponisten eröffnen sich damit nie da gewesene Möglichkeiten.

 






 
 
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