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Klassik.com |
Christian Gohlke |
Bizét: Carmen, München, 30. Mai 2010
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'Carmen' an der Bayerischen Staatsoper
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Opernabende unterliegen eigenen Gesetzen. Große Namen zum Beispiel sind noch
lange kein Garant für große Abende. Diese Erfahrung konnte (oder musste) man
nun auch im Münchner Nationaltheater machen, wo derzeit eine erstklassig
besetzte 'Carmen' zu sehen ist. Mit Jonas Kaufmann, Elina Garanca, Genia
Kühmeier und Ildebrando D’Arcangelo gewann die Bayerische Staatsoper ein
erlesenes Ensemble weltberühmter Sänger. Und dennoch: So recht wollte der
Funke nicht überspringen an diesem mit Spannung erwarteten Abend. Was waren
die Gründe für den eher lauen Eindruck, den die Aufführung hinterließ?
Zunächst einmal: Mehr als die üblichen Klischees bietet die Inszenierung von
Lina Wertmüller aus dem Jahr 1992 nicht. Carmen – das Rasseweib; Micaela –
das unschuldige Mädchen; Escamillo - der Macho; José - der gute Junge, der
mehr und mehr vom rechten Wege abkommt. Von differenzierten Rollenportraits
kann bei solchen Abziehbildchen nicht die Rede sein. So bewegten sich die
Sänger recht stereotyp über die mit ein wenig folkloristischem Dekor
verzierte Bühne von Enrico Job, dessen Bauwerke und Felsen arg nach
Pappmaché aussehen. Im schrillen Kontrast zum braven Realismus der Kostüme
und Bühnenbilder steht ein Himmel, dessen unnatürlich gelbe Farbe von Anfang
an nichts Gutes verheißt (Licht: Franco Marri). Diese langweilige und
ästhetisch wenig ansprechende szenische Realisation machte es den Sängern
schwer, das Stück zum Leben zu erwecken. Doch auch die Musik wollte nicht zu
recht zünden – und das, obwohl mit Karel Mark Chichon ein Dirigent am Pult
des Bayerischen Staatsorchesters stand, der durchaus über das nötige
Temperament für diese Musik verfügte, dabei aber auch ein feines Gespür für
die zarteren, verschatteteren Töne der Partitur hatte. Wenn an diesem
Opernabend etwas mitreißend war, dann streckenweise Chichons Dirigat, das
etwa im vierten Akt große Dramatik und Intensität besaß. Leider konnten
damit die vier Hauptdarsteller nicht so recht mithalten.
Genia Kühmeiers lyrisch weiche Stimme passt eigentlich ausgezeichnet zur
Partie der Micaela. Zart und anrührend glückte ihr denn auch im ersten Akt
der Bericht über Josés Mutter im Duett Nr. 7 ('Parle-moi de ma mère!'). Aber
ganz frei schienen ihre Stimmbänder nicht gewesen zu sein. Zu zurückgenommen
(und nicht immer präzise in der Intonation) war die Arie 'Je dis rien' (Nr.
22 im dritten Akt). Temperamentvoller und kräftiger hätte man sich den
Escamillo von Ildebrande D’Arcangelo gewünscht. Etwas angestrengt und recht
knarzig klang sein Couplet Nr. 14 ('Votre toast'). Auch der umjubelte
Star des Abends, Jonas Kaufmann, war kaum in der Lage, die innere
Aufgewühltheit Don Josés am Ende der Oper glaubhaft auszudrücken. Natürlich
hat er, vor allem in den dramatischen und höher gelegenen Passagen,
bezaubernden Glanz in seiner kraftvollen, schönen Stimme. Großartig gelangen
ihm die zarten wie die dramatischen Passagen in seiner Arie 'La fleur que tu
m’avais jetée' im zweiten Akt. Aber über die unschön-gaumige Klangfarbe, die
seine Stimme in mittleren Lagen zuweilen annimmt, kann man kaum hinwegsehen.
Schmerzlicher ist, dass er eine letzte Intensität doch vermissen ließ, vor
allem im finalen Duett mit Carmen (Nr. 27). Dass er dieser Frau mit Haut und
Haar verfallen ist, sie anfleht und beschwört, ihn um keinen Preis zu
verlassen, schließlich in eine solche Raserei gerät, dass er den geliebten
Menschen lieber tötet als bei einem anderen zu wissen, war kaum glaubhaft.
So hat Jonas Kaufmann seine Partie zweifellos sehr gut gesungen. Geradezu
hinreißend und unvergesslich ist er als José aber nicht.
Vielleicht lag der Mangel letzter Leidenschaftlichkeit auch ein wenig an
seiner Partnerin Elina Garanca. Sie ist ihrem nordisch-kühlen Typus nach
eher das Gegenteil einer Carmen. Vielleicht erklären sich die viel zu großen
Gesten, zu denen sie greift, aus dem Bedürfnis, die mangelnde charakterliche
Disposition für diese Partie ausgleichen zu wollen. Ständig rafft sie den
Rock, rekelt sich lasziv auf Felsen oder Tischen, berührt mit ihrem nackten
Fuß die Männer im Schritt. Das sind Stereotype, die rasch ermüden und wohl
im Ernst kaum in der Lage wären, bei den Männern derartige erotische
Turbulenzen anzurichten, wie die Oper sie schildert. Dabei hätte Elina
Garanca diese überdeutlichen, leidigen Gesten gar nicht nötig. Ihre markante
Stimme wäre schon betörend genug. Wobei man sicher geteilter Meinung darüber
sein kann, ob ihr Timbre nicht eher Reinheit assoziieren lässt als
Leichtlebigkeit und verwegenes Draufgängertum. Garanca singt warum und
kraftvoll, verfügt über leuchtende, klare Höhen und klingt auch in tieferen
Lagen unangestrengt, intoniert präzise und wirkt jederzeit kultiviert.
Carmen ist bei ihr eine Belcanto-Partie. Das ist gewiss sehr schön – sehr
aufregend ist es nicht.
So erlebte man in München eine Opernaufführung von mehr als nur beachtlichem
Niveau, konnte sich aber nach Ende der Vorstellung zu Bett legen, ohne
Schlaflosigkeit aufgrund zu großer innerer Anteilnahme fürchten zu müssen. |
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