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Opernwelt, Januar 2011 |
George Hall
(Übersetzung: Marc Staudacher) |
Ciléa: Adriana Lecouvreur, Royal Opera House, 18 November 2010
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Kitsch as Kitsch can
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«Adriana Lecouvreur» wurde 1902 in Mailand uraufgeführt, bevor
sie zwei Jahre später in einer ersten Produktion an der Royal
Opera Covent Garden zu erleben war. Die letzte dortige
Aufführung vor David McVicars aktueller Neuproduktion datiert,
man höre und staune, in das Jahr 1906 zurück. Überhaupt war
«Adriana Lecouvreur», abgesehen von gelegentlichen Gastspielen
und einer Handvoll konzertanter Aufführungen, auf britischen
Bühnen selten zu sehen. Kein Haus wollte die Oper auf den
Spielplan setzen. Einzige Ausnahme: die Holland Park Opera, die
sich auf Puccini und dessen Zeitgenossen spezialisiert hat und
Cileas Drama um eine berühmte Heroine der Comédie Francaise zum
hundertsten Geburtstag des Werks im Jahr 2002 präsentierte.
Dabei hat «Adriana Lecouvreur» durchaus ihre Meriten, selbst
wenn Cilea wohl keinen Anspruch auf Puccinis technische
Meisterschaft oder dessen Fähigkeit zur optimalen
dramaturgischen Strukturierung jedes einzelnen Aktes erheben
kann. Im Grunde bildet Cileas Oper das Pendant zu einem
Hollywood B-Movie: Sie birgt eine Reihe von packenden Szenen und
bietet einfallsreichen Künstlern ausgiebig Gelegenheit zu
denkwürdigen Auftritten.
David McVicar ist klug genug,
gar nicht erst zu versuchen, Cileas Version der gleichnamigen
Theatervorlage von Eugene Scribe und Ernest Legouvé (die
übrigens schon 1913 mit Sarah Bernhardt in der Titelrolle
verfilmt wurde) einer radikalen Behandlung zu unterziehen. Die
von Charles Edwards eingerichtete Bühne entführt im ersten Bild
in den Backstage-Bereich eines nachempfundenen Barocktheaters,
von dem aus der Blick auf die Bühne und die darauf Agierenden
fällt. Ebenso realistisch und nicht ohne einen Touch Vulgarität
sind die späteren Schauplätze gehalten: die am Seine-Ufer
gelegene Villa der Schauspielerin Duclos und das Palais Bouillon
(das auch als Bühne für das Ballett «The Judgement of Paris»
sowie Adrianas «Phädra»-Monolog dient). Inn der letzten Szene
schließlich begegnet uns nochmals die Comedie-Francaise-Bühne,
auf der wir Adrianas Todeskampf in ihrem ärmlichen Heim erleben,
während im Hintergrund Berufsgenossen der Dahinscheidenden die
letzte Ehre erweisen. Die von Brigitte Reiffenstuel detailreich
und originalgetreu angefertigten Kostüme ergänzten Edwards'
Bühne vortrefflich, auch Regisseur David McVicar bekräftigte den
traditionellen Charakter seiner Inszenierung mit einer
angemessen dramatischen Personenführung.
Das Ergebnis
ließ freilich die Präzision und Raffinesse vermissen, die man
von McVicars gelungensten Inszenierungen kennt. Unter dem Strich
hatte man den Eindruck, weniger ein in sich stimmiges szenisches
Kunstwerk als ein Mosaik einzelner Kunstgriffe zu verfolgen, die
- streckenweise mit einer gehörigen Portion Kitsch -
herkömmliche Operngesten und -bewegungen bloß aufriefen oder
zitierten, statt sie zu transzendieren.
Ein Teil des
Problems lag in der Besetzung der Titelrolle. Angela Gheorghiu
dominierte das Geschehen, produzierte einige herrlich
schillernde Töne in der finalen Sterbeszene (insbesondere in der
verschattet intonierten Arie «Poveri fiori», dem vielleicht
exquisitesten Moment der gesamten Partitur), konnte indes mit
«Io son I'umile ancella» oder dem «Phädra»-Monolog, der im
dritten Akt deklamierten Attacke auf die Prinzessin, nicht die
erforderliche Durchschlagskraft erzielen. Welche Ironie, dass
gerade die um eine Künstlerin mit höchstem Anspruch kreisende
Rolle der Adriana vor Augen führt, dass die verspielte,
mädchenhafte, ja zuweilen kokette Angela Georghiu (hier wie
schon zuvor) eben genau diesen schöpferischen Ernst nicht
vollauf zu beglaubigen vermag - ist sie doch selbst nie eine
große Sängerdarstellerin gewesen.
Anders Jonas
Kaufmann, der als wankelmütiger Schurke Maurizio überzeugte,
seine Rolle mit gebührendem Schneid ausstattete und wie gewohnt
durch sängerischen Scharfsinn und tadellose Stimmbeherrschung
bestach.
Michaela Schuster zeichnete ein
eindringlich-giftiges Porträt der Prinzessin von Bouillon,
wenngleich ihr die eindimensionale Rolle recht wenig
Gestaltungsspielraum ließ. Von den vier Hauptfiguren erwies sich
Allessandro Corbelli in der Rolle des von Liebe entbrannten
Regisseurs Michonnet als Glücksgriff; die inneren Gefühlskämpfe
der Figur brachte er mit intelligentem Tiefblick und berührender
Gefühlsintensität über die Rampe. In der Riege der übrigen
trefflich angelegten Charakterrollen machten der italienische
Bass Maurizio Muraro als herumstreunender Prinzessinnengatte
sowie Tenor-Veteran Bonaventura Bottone als dessen windiger
Kleriker-Kumpan Abbé de Chazeuil auf sich aufmerksam. |
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