Die Welt, 24. November 2010
Manuel Brug
Ciléa: Adriana Lecouvreur, Royal Opera House, 18 November 2010
So baut man einen sicheren Welterfolg - Wahres Weib im falschen Opernleben
 
Stars gegen die Rezession: Angela Gheorghiu und Jonas Kaufmann brillieren in London in "Adriana Lecouvreur"
 
So baut man einen sicheren Welterfolg

Francesco Cileas "Adriana Lecouvreur" gilt heute als Primadonnenoper. Bei der Uraufführung 1902 war allerdings gerade der Tenor berühmt: Enrico Caruso. Später wurde dieses Stück zu einer Erfolgspartie für die legendäre Magda Olivero, die kürzlich ihren 100. Geburtstag feierte. Der sterbende Komponist Francesco Cilea hatte sie gebeten, noch einmal für sie zu singen, obwohl sie schon zehn Jahre von der Bühne abgetreten war. Danach ging ihre Karriere bis 1990 weiter. Als Adriana wurden später Licia Albanese, Renata Tebaldi, Renata Scotto, Joan Sutherland, Daniela Dessì und Mirella Freni gefeiert. Die Londoner Neuinszenierung wird im Fernsehen übertragen und für DVD aufgezeichnet. Außerdem reist sie weiter nach Barcelona (mit Barbara Frittoli und Robert Alagna), Wien, San Francisco und Paris.

Wahres Weib im falschen Opernleben
Stars gegen die Rezession: Angela Gheorghiu und Jonas Kaufmann brillieren in London in "Adriana Lecouvreur"

Die Sängerstars sind das Salz in der Opernsuppe. Wegen ihnen kommt das Publikum, will Melodien schlürfen, in Vokalwohlklang baden. Ohne Sängerstars keine Musiktheater. Wenn sie freilich wie fette Musiktruhen bloß an der Rampe geparkt werden, entsteht kein Theater. Und wenn sie zickig sind, dann machen sie nur Theater. Manchmal müssen die Intendanten für sie (und ihr Publikum) Theater machen. Sprich: Man hat erst die Stars und sucht dann ein Stück. Oder man macht ein Stück, gerade weil man die Stars hat und weil dieses spezielle Werk ohne sie nicht lebensfähig wäre.

Genau so ein Stück ist Francesco Cileas 1902 in Mailand (freilich nicht an der Scala) uraufgeführte Schauspielerinnen-Schmonzette "Adriana Lecouvreur". Heute wäre diese Hinterbühnen-Rokoko-Romanze zwischen Comédie Francaise und Adelsvilla, mit vertauschten Briefen und verwechselten Geliebten eine saftige Soap Opera: Vier clevere Kolportage-Akte nach einer Vorlage des französischen Großboulevardiers Eugène Scribe über einen immerhin halbwahren amour fou zwischen jener Schauspielerin, die den hohen Ton der Tragödie mit Menschlichkeit durchträufelte, und dem Kriegshelden Moritz von Sachsen, unehelicher Sohn August des Starken und Urgroßvater der Schriftstellerin George Sand.

Selbst im starsüchtigen London, wo die "Adriana" jetzt eine glanzvolle wie teure Premiere feierte, wurde diese bittersüße Kitschbombe zuletzt vor 103 Jahren gespielt. Man zieht sie für gewöhnlich nur genant aus der dunkelsten Repertoirekiste, wenn eine Primadonna im Herbst ihrer Karriere nach einem wirkungsstarken Vehikel sucht, das nicht zu sehr anstrengt und nicht über das hohe B hinausreicht. Dabei ist die Musik Cileas, dem hier - ähnlich wie den lupenreineren Verismo-Kollegen Leoncavallo und Mascagni - nur ein One-Hit-Wonder gelang, viel besser als ihr zweifelhafter Ruf.

Cilea geht geschickt mit Leitmotiven um, pflegt einen sensitiv durchsichtigen Instrumentierungsstil, liefert klanglich viel historisierendes Lokalkolorit, wirkungsmächtige Solonummern und scharf geschnittene Charaktere; selbst für die hübsch verteilten Nebenrollen wie einen eitlen Abbé und vier plappernde Komödianten. Das alles gipfelt in den beiden großartigen Solonummern der Titelheldin, die sich sämig singend und kalkuliert bescheiden zur niedr'en Magd im Dienst des Schöpfers stilisiert und am Ende, die Welt als Bühne und die Bühne als Welt umgreifend, verröchelt an einem Veilchenstrauß, den ihre Rivalin vergiftet hatte. Schöner darf kaum eine Sopranistin ihr Operndasein aushauchen, und im tiefen Schatten Puccinis braucht sich diese apart tönende Bonbonnière wirklich nicht verstecken.

Besonders nicht, wenn dafür - wie jetzt im Royal Opera House Covent Garden - die einzige wirklich zickige Diva der gegenwärtigen Sopranistinnengeneration in der Blüte ihrer Jahre als Rollendebütantin bereit steht. Die blendende Rumänin Angela Gheorghiu zeigt in herrlichen Kostümen Taille und Dekolleté. Sie spielt mit der Schauspielerin, die sie vorgibt, zu sein und mit dem eigenen Starstatus, präsentiert sich als Königin der Kantilene und liebendes Girlie im echt falschen Opernleben. Kunstfertigkeit und Natürlichkeit, ehrliche Einfalt und wirkungsbewusstes Raffinement, Pose und Instinkt sind hier untrennbar.

Zumal der Rahmen um die glamouröse Protagonistin maßgeschreinert ist. Jonas Kaufmann ist als Maurizio mit Dreitagebart ein Tenortraum mit feinen Piani und viriler Attacke. Ein klein wenig ungekünstelter könnte freilich seine Stimmführung sein. Mark Elder lässt das Orchester sanft glühen, nie zu laut werden und bürstet den instrumentalen Plüsch sorgsam frisch. Regisseur David McVicar entfaltet einmal mehr als junger Neo-Zeffirelli ungebrochen opulentes, komparsenreiches Ausstattungstheater, das seinen Honig weitgehend aus dem Bühnenbild von Charles Edwards saugt. Der lässt zwischen Rückseiten längst ranzig gewordener Kulissen ein barockes Theater auf dem Theater kreiseln. Das zeigt von hinten seine Eingeweide, von vorn eine edelrosa Säulenfassade und ist doch nur Schein, schäbig-schönes Imitat von Wirklichkeit.

Darin glänzt Angela Gheorghius kostbares Timbre als Schmuck und Waffe. Mit ihrer Nebenbuhlerin, der von Michaela Schuster robust intrigant georgelten Principessa de Bouillon, liefert sie sich flammende Notengefechte. Ihren Liebhaber und den sanftmütigen, ebenfalls in sie verschossenen Inspizienten Michonnet (anrührend: Alessandro Corbelli) umflirtet sie mit feiner mezza voce und elegisch langgezogenen Bögen. Sie singt gern leise, alles muss sich auf sie konzentrieren, und gleichzeitig schnurrt sie befriedigt als Rampentigerin.

Das ist lebendig altmodische Oper in Reinkultur. Der Wunsch der Gheorghiu nach eben diesem Stück, nach dem Regisseur und ihrem Lieblingspartner war der Londoner Oper Befehl. Es hat sich ausgezahlt. Selbst in den für Britannien harten Zeiten der Rezession lässt das Publikum gern 250 Euro für den besten Platz springen. Viele Stimmfreaks weltweit haben lange diese luxuriöse Premiere herbeigefiebert, klatschten sich jetzt die Hände wund. Manchmal ist Oper so einfach.
 






 
 
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