Schwer zu verstehen, dass Cileas an herrlichen Melodien so reiche
Adriana Lecouvreur nicht zum Kernrepertoire zählt und es schon
Jahrzehnte her ist, dass man sie in der Volksoper spielte. Nun scheint
das Werk, das an der Scala und an der MET immer wieder präsent ist,
neues Interesse auf sich zu ziehen. In Berlin hatten Angela Gheorghiu
und Jonas Kaufmann in einer konzertanten Aufführung sehr großen
Erfolg bei Kritik und Publikum und die szenische Produktion im Royal
Opera House wurde nun zum Triumph.
Das Libretto ist ziemlich getreu nach einem seinerzeit von den großen
Schauspielvirtuosinnen Sarah Bernhardt und Eleonora Duse häufig
gespielten und noch heute lesenswerten Theaterstück von Eugène
Scribe äußerst wirkungsvoll gestaltet. Es spielt ist im 18.
Jahrhundert in Paris und schildert die Liebe Adrianas, einer berühmten
Schauspielerin der Comédie francaise, zu dem aus seinem Land
vertriebenen Herzog Moritz von Sachsen. Rivalin um die Gunst Maurizios
ist die Fürstin von Bouillon, die Adriana durch ein vergiftetes
Veilchenbouquet ermordet. Dieser die Glaubwürdigkeit etwas
strapazierenden Operntod ist wohl das einzige Manko des stets spannenden
Opernbuches das durch Ehebruch, Eifersucht und tödliche Intrigen in
höchsten Kreisen niemals nachlassende Spannung bietet. Übrigens steht
das ungewöhnliche Hinscheiden durch Blumenduft auf der Opernbühne nicht
allein da denn schon in Meyerbeers Afrikanerin findet Selika den Tod
durch den Duft der Blüten des Manzanillobaumes.
Cileas 1902 an der Scala uraufgeführtes Werk enthält nicht weniger als
vier Arien (jeweils zwei für Tenor und Sopran), die jedem Opernfreund
von Schallplatten bestens bekannt sind. Die sehr sorgfältig
orchestrierte Partitur setzt prägnant erfundene Themen für die
Hauptfiguren fast leitmovisch ein und enthält große musikalische
Schönheiten, vielfach elegischer Art, weist aber auch Stellen von hoher
dramatischer Schlagkraft und wirkungsvolle humoristische Passagen auf.
David McVicars an geistreichen Einfällen und glaubwürdigen
Aktionen reiches Regiekonzept macht in allen Akten ein Rokokotheater zum
höchst passenden Aktionsort für die Figuren der im Schauspielermilieu
spielenden Handlung. Darüber hinaus bildet es eine packende Metapher für
das Illusionäre aller Gefühle und somit eine ideale Projektionsfläche
für Emotionen des Auditoriums. Die hocheleganten Kostüme zeigen die
charakteristischen Merkmale der Epoche ohne deshalb in plumpe Nachahmung
historischer Vorbilder zu verfallen. Die pantomimisch dargestellten
Szenen aus Racines Tragödie Bajazet, deren Hauptrolle, die türkische
Sultanin Roxane, im Theater auf dem Theater von Adriana gespielt wird,
zeugen allerdings nicht von einer näheren Kenntnis dieses Meisterwerkes
der französischen Klassik, aber wem fällt das schon auf ? Ich kann aus
dem Unterricht noch lange Passagen der tragédie Bajazet auswendig.
Köstlich ein karikierendes Ballett über das Urteil des Paris- eine
Metapher für einen zwischen verschiedenen Frauen schwankenden Mann, wie
es ja auch Maurizio ist.
Stars des Abends waren natürlich die Protagonisten Gheorghiu und
Kaufmann, deren Stimmen bestens mit einander harmonieren und die
auch optisch wunderbar zu einander passen. Angela Gheorghius
Schönheit kam in den Rokokokleidern besonders gut zur Geltung und sie
befand sich in vokaler Höchstform, in wesentlich besserer Form als bei
ihrer Wiener Marguerite. Ihre Stimme klang viel kräftiger und weist
nun echte Spintoqualität auf. Mich störte bei ihren Auftritten oft eine
gewisse Künstlichkeit, aber hier ist das Artifizielle ihrer
Darstellungsweise geradezu ein Stilmittel zur Charakterisierung eines
Schauspielstars. Die Partie der Adriana weist zwar keine großen vokalen
Schwierigkeiten und keine exponierten Höhen auf, enthält aber prägnante
Sprechstellen und eine schwer zu gestaltende melodramatisch untermalte
Deklamation eines Monologes aus Racines Phèdre. Die Gheorghiu
bewältigte alle diese Anforderungen so gut, dass daneben ein Ausstieg im
Schlussakt nicht ins Gewicht fiel.
Eine völlig makellose Leistung bot Jonas Kaufmann. Er gab den
Maurizio nicht als eindimensionalen Verismo-Helden, sondern arbeitete
prägnant die negativen Charakterzüge des mit der Liebe Adrianas und der
Fürstin spielenden, durchaus opportunistischen Mannes heraus. Bei
Adriana sucht er offenbar sexuelle Erfüllung und Kaufmann machte
sein Interesse an Adriana schon bei seinem ersten Auftritt sehr
handgreiflich deutlich. Von der Fürstin Bouillon erwartet er Protektion
und Unterstützung bei der Wiedererlangung seines Landes, aus dem er
vertrieben wurde. Dabei ist er kein gewöhnlicher Betrüger denn in der
Arie l` anima ho stanca gesteht er der Fürstin in einem Moment der
Ehrlichkeit, dass seine Liebe zu ihr erloschen ist. Erst im letzten Akt,
beim Tod Adrianas, präsentiert er sich so edel wie man es von einem
ordentlichen Operntenor eigentlich gewohnt ist. Ob er allerdings Adriana
die Heirat nicht nur verspricht, weil er sicher ist, dass sie stirbt ?
Wer weiß es? Nach einem Wort Voltaires erzeugt man Langeweile am besten
dadurch, dass man alles ausspricht. Diesen Fehler vermeidet das Stück
und das spricht für seine Qualität. Stimmlich bot der Künstler alles,
war man vom derzeit weltbesten Tenor erwartet: Herrlich samtiges,
ungemein charakteristisches Timbre, strahlende Spitzentöne, wunderbar
tragende Piani, prachtvolles Legato, messa di di voce …das alles im
Dienste dramatischer Wahrheit. Wie er mit einem
technisch meisterhaft bewältigten Decrescendo Stimmung erzeugen kann-
das macht ihm derzeit kein anderer Tenor nach. Ovationen nach seinen
Arien. In der Uraufführung sang Caruso, der bekanntlich ebenfalls ein
baritonales Timbre hatte- er kann als Maurizio kaum besser gewesen sein.
Wohl kein Opernfreund verspürte Lust, Michaela Schuster nach
ihrer Venus in Wien nochmals zu hören. Merkwürdiger Weise hielt sich in
der Rolle der Fürstin Bouillon ihr Vibrato in Grenzen und scharfe Höhen
dienten der Charakterisierung der durch Veilchen Mordenden. Der
Regisseur entlockte ihr sogar eine ansprechenden schauspielerische
Leistung- nach ihrer hölzernen Venus höchst verwunderlich.
Die vierte Hauptrolle wurde von Alessandro Corbelli sehr
sympathisch verkörpert- er spielte einen Regisseur der Comédie
francaise, der Adriana hoffnungslos liebt. Unter den weiteren Sängern
sind besonders Maurizio Muraro als Fürst von Bouillon und der
eine prägnant gezeichnete Charakterstudie eine komischen Abbés liefernde
Bonaventura Bottone erwähnenswert. Von den Comprimario -Sängern
hat der junge David Soar in der Rolle eines Schauspielers der
Comédie eine besonders schöne Stimme.
Mark Elder als Dirigent war dem gröblich unterschätzten Werk ein
hervorragender Anwalt und für die Sänger ein rücksichtsvoller Begleiter.
Der Orchestergraben in Covent Garden liegt tiefer als in Wien und ist
zudem noch teilweise abgedeckt, was den Sängern zwar zu Gute kommt, die
Brillanz des Orchesterklanges aber etwas mindert.
Auf dem Theaterzettel fungiert die Wiener Staatsoper als Co-Produzent
der Adriana. Direktor Meyer, den ich im Foyer traf, versicherte mir, die
Produktion hätte ihm sehr gut gefallen und sie werde auch in Wien zu
sehen sein. Es ist dies wohl einer der „schönen Pläne“, die er für
Kaufmann hat und die er bei seinem kürzlich abgehaltenen
Publikumsgespräch noch als mysterium stricte dictum behandelte. Wir
können uns also freuen und werden hoffentlich ebenso viel Grund zum
Jubeln haben wie das Publikum in London. Einen wirklich guten Mezzo für
die Simionato-Rolle der Fürstin könnte man sicher auch noch finden.
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