Abendzeitung, 11. Jun 2009
Volker Boser
La traviata, München, 9. Juni 2009
Staunenswert souverän
 
Die Sopranistin Angela Gheorghiu kann im Konkurrenzkampf der Diven als Violetta in Verdis "Traviata" bestens mit Anna Netrebko mithalten. Doch die nächsten beiden Vorstellungen an der Staatsoper muss sie wegen Indisposition absagen. Statt ihrer singt nun Anja Harteros.
Selbst hartnäckige Anhänger von Anna Netrebko streckten die Waffen: „Sie ist gut und kann es sogar noch besser“, befand in der Pause Pinakotheks-Architekt Stephan Braunfels, der aus seiner Schwäche für die russische Sopranistin ansonsten kein Hehl macht. Wie die übrigen Besucher im Nationaltheater war er im Angela-Gheorghiu-Fieber. Drei Mal sollte die rumänische Diva als Violetta in Verdis „La traviata“ die Fans zur Verzückung bringen. Nach der ersten Vorstellung dann die Hiobsbotschaft: Die Diva hat das Handtuch geworfen, weil sie unpässlich ist. Die restlichen beiden Aufführungen singt Anja Harteros.

Die Schwierige ließ sich nicht aufs Glatteis führen

Man weiß, dass Angela Gheorghiu schwierig ist. Den Vergleich mit Anna Netrebko provoziert sie wohl vorsätzlich. Klappern gehört zum Handwerk. In München ließ sie sich nicht aufs Glatteis führen: Obwohl das Bühnenbild von Andreas Reinhardt in Günter Krämers angegrauter Inszenierung alles andere als sängerfreundlich ist, forcierte sie nicht, begann verhalten, womöglich auch, um eine sich anbahnende Indisposition aufzuhalten. Die große Arie zum Finale des ersten Aktes („È strano“) gelang perfekt. Aber es war noch Luft nach oben. Dann aber riss sie das Geschehen an sich, mit unmissverständlichen Gesten und einer staunenswerten musikalischen Souveränität. Im Duett mit Giorgio Germont liess sie den trefflichen Simon Keenlyside ziemlich blass aussehen. Da gelangen herrliche Piano-Bögen, getragen von einem stets glaubhaft präsentierten emotionalen Willen. Auch der letzte Akt wurde mit wunderbar eindringlicher Intensität bewältigt. Nur: Weil sich Angela Gheorghiu jede glamouröse Primadonnen-Allüre versagen muss, starb die todkranke Violetta auch diesmal in jenen peinlichen Posen, die zwar den Gebrauch der Taschentücher im Publikum garantieren, aber doch von gestern sind.

 Jonas Kaufmann als kraftvoll-naiver Alfredo

Prächtig der Münchner Tenor Jonas Kaufmann als unglücklich liebender Alfredo. Wo Violetta wissend und empfindsam agierte, beließ er es – rollengerecht – bei kraftvoller, naiver Unbefangenheit, die, wenn es sein musste, auch zu berührendem Mezza-Voce-Zauber fähig war. Man hätte ins Schwärmen kommen können – wäre da nicht ein böser Kobold gewesen, der immer wieder störend dazwischen funkte. Die Dirigentin Keri-Lynn Wilson war dazu auserkoren, dieses Stimmfest zu begleiten. Das Staatsorchester schien willig, blieb aber unter seinen Möglichkeiten. Die Kanadierin beschränkte sich darauf, Abläufe zu kontrollieren und die Noten spannungslos herunter zu buchstabieren. Vergleiche mit „Traviata“-Sternstunden unter Carlos Kleiber verbieten sich geradezu. Ein guter Geist sollte Keri-Lynn Wilson möglichst rasch darüber aufklären, dass es in Verdis „Traviata“-Partitur weit mehr zu entdecken gibt als lediglich belanglos-harmloses Hm-ta-ta.






 
 
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