Badische Zeitung, 03. April 2009
Heinz W. Koch
Puccini: Tosca, Zürich, 29. März 2009
Das Leben ist eine Oper
"Come la Tosca in teatro": Das Programmbuch der Zürcher Oper spendiert gleich vorneweg das Stichwort zu ihrer neuen Puccini-Version. "Wie Tosca im Theater" wird Cavaradossi, der (jüngere?) Geliebte der berühmten Sängerin, nach seiner als Scheinhinrichtung annoncierten Erschießung zusammenbrechen. (Der Opernmensch weiß, dass die Zusage des verbrecherischen römischen Polizeichefs Scarpia eine Finte ist.)

"Neu" ist die Inszenierung des kanadischen Regiestars Robert Carsen keineswegs. 1996 krönte sie den wohlbeleumundeten Puccini-Zyklus der Flämischen Oper in Antwerpen, und Hamburg hat sie auch bereits gesehen. "Neu" im weitesten Sinne ist sie allerdings sehr wohl. Es ist eine "Tosca", die nicht in der Kirche, im Palazzo Farnese oder frühmorgens auf der Engelsburg spielt, sondern von A bis Z im Theater (Ausstattung: Anthony Ward). Vielleicht noch, dass Kirche und Theater in eins gehen, wenn während des "Te Deum"-Finales im ersten Akt ganz kurz ein riesiges Marienbild illuminiert wird.

Die Ur-Gleichung des mit großem Jubel begrüßten Abends lautet, auch wenn seine Primadonna mit Sonnenbrille und Pelzmantel nur ganz eben darauf verweist: Emily Magee = Maria Callas = Flora Tosca. Wir schauen einer Sängerin zu, die eine Sängerin spielt, die die Tosca gibt. Der Regisseur treibt ein virtuoses Theater auf dem Theater. Er jongliert in einem fort mit zitierten Gesten und Haltungen. Das Leben – eine Oper: ein Dasein unterm Scheinwerfer, das Drama einer Künstlerin, die ihren Beruf mit dem Alltag gleichsetzt, sich im Grunde permanent in Anführungszeichen äußert – bis in die Demonstration von Primadonnen-Eitelkeiten hinein, bis hin zu ihrem auf Autogramme wartenden Fanclub (nur einer kriegt eins).

Kein Zweifel, vieles an dieser sehenswerten "Tosca"-Variante bleibt Konstrukt. Das kühnste sucht uns weiszumachen, dass die Titelheldin und der von ihr besessene Polizeichef "spielen", Tragödie und Tod des Malers Cavaradossi indessen "echt" sind. Womit wir freilich bei dem hier besonders schillernden Problem angelangt sind, was auf dem Theater "echt" ist … Achtung: gedankliche Rutschgefahr! Überhaupt: die goldene Publikumsmedaille dem, der für die Frage "Spiel oder Spiel mit dem Spiel?" allzeit lösungsbereit ist. Und selbst, wo wir bloß noch einer "normalen" Puccini-Deutung gegenüber zu sitzen meinen, ist es eine gute, spannende Aufführung mit aufregenden Facetten.

Perfider Schöngesang
Zürich und die Sänger: Auch diese offenbar unendliche Geschichte erhält in dieser "Tosca" ein neues Kapitel. Von den drei begehrten zentralen Partien werden zwei erstmals interpretiert – standesgemäß von Vertretern der stimmlichen Hautevolée. Tosca ist eben Emily Magee – ein Sopran, rund, voll, dramatisch, zu Erschütterungen fähig. Scarpia ist, selbstredend mit besonderer Spannung erwartet, Thomas Hampson. Und wer bei ihm zuvor ins Stirnrunzeln geriet, muss am Premierenabend erkennen: Er kann’s. Er ist’s. Er tut seinem von Hause aus lyrischen (Lied-)Bariton keinen Tort an. Er dreht in (vertretbaren) Maßen und im Rahmen seiner Möglichkeiten auf. Er nähert sich dem Schurken über die vokale Eleganz des Gentleman-Verbrechers: perfider Schöngesang, wenn man so will.

Und über allem und allen: der bereits erprobte Cavaradossi von Jonas Kaufmann. Ein Jeanstyp, ein immer dramatischerer Tenor dazu, dunkel getönt, wie man ihn kennt, dabei bis ganz oben strahlend, kernig. Die Hauptsache gleichwohl: Puccini-Gesang von einer Differenzierung, wie man sie seit di Stefanos (Cal- las-)Zeiten kaum mehr erlebte, Pianissimo-Verhaltenheit, wo immer sie sich anbietet – "E lucevan le stelle" ("Und es blitzten die Sterne"), mit einer Feinheit, einer Verinnerlichung sondergleichen, "O dolci mani" ("O zarte Hände"), verhauchend, als würde Tosca tatsächlich singend liebkost.

Dass das so begnadet gerät, daran hat der Dirigent, hat der sensibel abgestufte Orchesterklang allerdings größten Anteil. Michael Tilson Thomas’ Zürcher Operndebüt hatte sich zerschlagen. Christoph von Dohnányi, sodann groß angekündigt, kam der Produktion im letzten Moment abhanden. Paolo Carignani, von 1999 bis 2008 als Cambreling-Nachfolger Generalmusikdirektor in Frankfurt, entpuppt sich schnellstens als weit mehr denn ein Last-Minute-Ersatz. Puccinis Klangwelt ist geduldig ausgeleuchtet, der brutale Effekt eher eine Spur zurückgestuft. Wie Carignani, vor allem im Einklang mit Kaufmann, in die musikalische Intimsphäre des Liebesduetts im ersten Akt eintaucht, das ist ungewöhnlich einfühlsam. Und: Nur selten belegt die musikalische Darstellung so sehr, dass Tosca in ihrer krankhaften Eifersucht ein bemitleidenswertes Geschöpf ist. Ein Dirigieren, dass immer wieder des Komponisten kommentierende Anteilnahme an seinen Gestalten freilegt, ihn nie an die Vordergründigkeit verrät.






 
 
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