|
|
|
|
|
Reutlinger Generalanzeiger, 08.10.09 |
MARKUS PFISTERER |
Mahler: Das Lied von der Erde, Bad Urach (in Metzingen)
|
Zwischen Himmel und Abgrund
|
Herbstliche Musiktage Margarete Joswig und
Jonas Kaufmann reißen im Orchesterkonzert das Publikum hin
METZINGEN. Es war eines der seltenen Konzerte, die ein endloser
Spannungsbogen sind. Zerklüftet in Kontrasten zwischen Abschied und Anfang,
zwischen kühlem Herbst und frohem Frühling, zwischen Lebensmüdigkeit und
Zuversicht, zwischen dem verzweiflungstrunkenen Hier und Jetzt und einem
fernen, unwirklichen Dort, im heiteren Licht der Ewigkeit zum Klang
entrückter Celesta-Glöckchen. |
|
Mezzosopranistin Margarete Joswig und ihr Mann, Startenor Jonas Kaufmann,
haben die Kontraste aus Gustav Mahlers vor gut hundert Jahren an der
Schwelle zur Moderne entstandenem »Lied der Erde« im Rahmen der Herbstlichen
Musiktage in der seit Wochen ausverkauften Metzinger Stadthalle brillant
verbunden.
Zusammen mit der unglaublich dehnbar und ausdrucksstark spielenden Deutschen
Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter Peter Schrottner, einem sinfonisch
groß gebauten Klangkörper, der doch nie massiv daherkam, sondern sich ganz
im Sinne des zwischen Lebenskrisen und Erfolg schwankenden Komponisten
willig auffächern ließ in ein ganzes Spektrum von Tonfarben.
Todesahnung bei Mahler
Margarete Joswig geht in der Führungsrolle auf, ist Zweifelnde und
Mutschöpfende, Todesahnende und Lebensbewunderin. Jähe Sprünge wollen dem
dauerlauernden Endzeit-Ton der tiefen Streicher entkommen, stehen mit
zornigen Brüchen und wehmütigen Zwiegesprächen mit dem Solo-Oboisten auf der
einen Seite; auf der anderen beseelte, warmvolumige Naturbewunderung und der
stimmstarke Glaube an ein Weiter-gehen.
Ein immerwährender, dunkler Glanz im Timbre, das bei aller Verzweiflung nie
hart wird, schmiedet die Pole zusammen. Umgekehrt ist selbst der heiterste
Aufschwung überzogen mit einer sanften Schicht Ernst.
Auch Jonas Kaufmann lebt in seinen drei vergleichsweise kurzen Auftritten
Gegensätze aus einem Guss. Hier schreit er im druckvoll strahlenden, doch
nie überzeichneten, sondern strengen Opernbelcanto als Trinker wütende
Durchhalteparolen heraus oder ironisierend gegen die nur scheinbar klare
Textbotschaft an: »Der Lenz ist da!!!« Dort mutiert er in Windeseile zum
augenzwinkernden Kammersänger, der zum neckischen Holzgebläse sein keckes
Lied singt oder seine Stimme abdüstert, um leicht beklommen ein wunderliches
Spiegelbild zu bestaunen.
Mit radikalen Tempobremsen macht er die Sinnleere des Protagonisten-Lebens
deutlich, dessen einziger Strohhalm der Trinkhalm ist.
Seelendramen bei Berlioz
Nicht ganz so tiefe Gefühlsgräben, aber dennoch viel Licht und (gewollter)
Schatten vor der Pause. In Hector Berlioz »Nuits dété« betet Margarete
Joswig ohne glamourösen Überschwang die Natur an, klagt silbenbetont wie ein
gregorianischer Mönch zu seufzenden Streichern über die schwindende »Kraft
der Rose«, ohne je die Hoffnung auf ein neues Erblühen zu verlieren.
Spiegelt pausendurchsetzt Ratlosigkeit, die ihr behutsame Holzbläserimpulse
auch nicht nehmen können. Innerseelische Mikro-Dramen spielen sich auf der
Bühne ab. Fast steinern verharrt Joswig, legt im Grabgesang die Hände zum
Gebet, klagt zu schweren Streicherharmonien geschlossenen Auges über das
Unglück des Vergessenseins, bis Berlioz den warmen Lebensstrom wiederkehren
lässt.
Steht das Orchester bei Mahler mit den Solisten auf Augenhöhe, gibt ihm
Berlioz in den sechzig Jahre zuvor entstandenen Liedern insgesamt weniger
Raum, dafür geradezu sphärische Transparenz.
In filigranen Figuren und impulsiven Tutti-Passagen verstärkt die Deutsche
Staatsphilharmonie Joswigs Gesang charaktertreu oder stellt ihm flirrende
oder verspielte Kontrapunkte an die Seite dank Peter Schrottners ungemein
differenzierten Schlags, der die Musiker weich an den Abgrund führt und
energisch wieder ins Licht hebt.
Es ist das Unverfälschte, Gelebte und nicht nur Dargestellte, der
unverstellte Fluss aus der Tiefe ins Außen, die den Spannungsbogen so groß
und das Orchesterkonzert der Herbstlichen Musiktage so besonders gemacht
haben. Zehn beifallsumtoste Schlussminuten zeugen davon.
|
|
|
|
|
|
|
|