Der Neue Merker, 06.07.2009
Renate Wagner
Wagner: Lohengrin, München, 5. Juli 2009
Der „Lohengrin“ kam auch zu uns
 
Zu Gast in München – am Wiener Rathausplatz
Das war wirklich eine große Sache, dass man nicht weiter als bis zum Wiener Rathausplatz fahren musste, um bei der Eröffnungspremiere der Münchner Opernfestspiele „fast“ live dabei zu sein. Die zeitversetzte Übertragung am Wiener Rathausplatz begann zwar erst um 21,30 Uhr und dauerte bis 1 Uhr früh, aber wer sie sich „antat“, der wurde reich belohnt. Am Anfang war der Platz gut gefüllt, das große Abbröckeln des Publikums begann allerdings schnell, und am Ende waren dann nicht mehr viele da, die erlebten, dass Nikolaus Bachler offenbar sein Ensemble live auf den Münchner Max-Joseph-Platz geholt hatte, um dort das Publikum, das im Freien dabei gewesen war, zu begrüßen.

Er hatte vor der Vorstellung sogar ein paar freundliche Worte für Wien aufgenommen – freundlichere, als er Österreich und seiner Regierung im „Profil“ nachgeworfen hat. Ich denke, er konnte zehn Jahre lang gänzlich unbehelligt am Burgtheater arbeiten, es ist die Politik, die Kunst hierzulande auch ermöglicht, wenn er Nitsch-Blut über die „heiligen“ Treppen des Hauses schütten ließ, also sollte er nicht aus seiner Münchner Position heraus wie ein Heckenschütze noch jenen Leuten Dreck nachwerfen, die sich alles von ihm gefallen ließen…

Oper auf dem Rathausplatz – das ist, kurz gesagt, eine wirklich riesige Leinwand (da wirkt jene der Staatsoper wie ein „Spuckerl“) von exzellenter optischer Qualität, akustisch allerdings eine Qual durch Übersteuerung, daran musste man sich gewöhnen, davon durfte man sich nicht vertreiben lassen. Aber wer, den dieser „Lohengrin“ wirklich interessierte, wäre wegen einer solchen Kleinigkeit gegangen?

Die Inszenierung von Richard Jones macht aus Brabant (alle tragen ein großes, gesticktes „B“ auf der Brust) eindeutig Berchtesgarden, der Chor gibt sich teils in bayerischer Tracht, die Damen mit Zopffrisur, die Uniformträger sind in dem bekannten dreckigen Hellbraun gekleidet – keine Hakenkreuze, aber kein gemütliches Land, das Ufer der Schelde im Vorzimmer, der Heerrufer vom erhöhten Sitz aus ins Mikrophon singend: Man meint anfangs, solchen Blödsinn hätte man schon genug gesehen, zumal wenn Elsa dann im Schlosseranzug kommt und unbedingt ein Haus bauen will – Brabant auch als Baustelle.

Behandelt wird die junge Dame wie der letzte Dreck, doch sobald Lohengrin auftaucht und die Machtverhältnisse sich zu ihren Gunsten geändert haben, geht es auf ihrer Baustelle mit Feuereifer los, nun will jeder dabei sein, sich bei der neuen Herrschaft anzudienen: Und damit hat der Regisseur ja nun doch ein überzeugendes Bild gefunden. Auch, dass Lohengrin, der im blauen T-Shirt und mit silbernen Turnschuhen (und einem echt wirkenden, aber wohl doch künstlichen Schwan im Arm!!!) erscheint, bald mitbaut und zur Hochzeit dann im altdeutschen (?) Zimmermannsgewand erscheint, ist konsequent. Ebenso, dass er das Haus tieftraurig abfackelt, nachdem Elsa die Frage gestellt hat. (Allerdings hätte man dann ganz am Ende gerne die Brandruinen gesehen – aber das wäre vielleicht zu viel Aufwand gewesen? Wie teuer die Inszenierung mit derartigen „Bauaktivitäten“ gekommen ist, kann man sich ja vorstellen.)

Wie gesagt, es ist eine jener Inszenierungen, die sich ihre Regeln selbst setzt und ihnen dann folgt, und das ist ja, wie wir von Hans Sachs wissen, einigermaßen legitim. Zumal Richard Jones auch eine hervorragende Sängerführung gelungen ist, bis in kleinste psychologische Details – und da war man als Zuschauer, dem die Kameraeinstellungen viele Großaufnahmen boten, wirklich vorzüglich bedient.

Das Gescheppere der Freilichtübertragung (gegen Ende, als es dann ganz zart wurde im Brautgemach, rollten sensible Geister noch die Mülltonnen hinter den Zuschauern herum, das war Stimmungsmord der schlimmsten Sorte) machte die Beurteilung des Orchesters nicht ganz leicht, aber grundsätzlich hat Kent Nagano eine ebenso zügige wie dynamische Interpretation dieser herrlichen Partitur geliefert.

Ja, und Jonas Kaufmann mitsamt seinen Löckchen! Er ist sogar noch schön, wenn ihm die Kamera beim Singen bis in den Mund hinein kriecht, weil er als Figur und Persönlichkeit dermaßen überzeugt, weil er es schafft, die Gralserzählung auf dem Plastiksessel zu singen und wie eine nachdenkliche Selbstreflexion zu gestalten… Und er ist für Wagner geboren (nicht für Massenet und Puccini, auch wenn er sich das einbildet ): Wenn man sich an sein nasal-gutturales Timbre gewöhnt, dann er ist ein prachtvoller Wagner-Sänger, auch weil er diese herrliche, strahlende, nie harte, nie kalte, nie schmerzende Höhe hat, er kann die Stimme öffnen und in den Himmel schicken. Dass er mit den Piani gelinde Schwierigkeiten hat, egal – das war der Lohengrin für unsere Zeit.*

Wunderbar die Deutsch-Griechin Anja Harteros, kein blondes Elschen, eine dunkelhaarige junge Frau, erst in den Arbeiterhosen, dann im Dirndl mit Gretchenfrisur und dennoch nie lächerlich wirkend. (Der Regisseur schert nur einmal aus, als er sie im ersten Akt zu einer Art Scheiterhaufen führen lässt, als auf das Ausposaunen nach einem Ritter zweimal niemand kommt – aber sie befreit sich selbst resolut und auch das passt zu ihr.) Diese Frau ist kein schwaches Dummchen, die nimmt ihr Schicksal in die Hand, darum ist es auch so besonders tragisch, wenn sie im dritten Akt den Mund nicht halten kann – und Lohengrin, der genau spürt, was da kommt, verzweifelt, weil er es nicht verhindern kann… hervorragend gespielt von den beiden. Und mit einer herrlichen, tragfähigen, jubelnden Sopranstimme ist sie auch gesanglich der Traum von einer Elsa.

Wir werden Christof Fischesser, der den König Heinrich mit profundem Baß und dauernd betrübter Miene sang, im Herbst an der Staatsoper kennen lernen, wir freuen uns darauf, es war Evgeny Nikitin ein machtvoller Heerrufer von seinem Hochsitz aus, und das „dunkle Paar“ fand in Wolfgang Koch und Michaela Schuster prächtige Interpreten, er als der Biertisch-Kleinkriminelle, sie als die geifernde, tückische Ehefrau. Im Berchtesgardener Kleinbürgertum ist die Sache ja fest verankert. Aber wenigstens baut sich Elsa, die schon am Anfang vor einer Zeichentafel steht und sich ein Haus entwirft, keinen Berghof: Zu Beginn des dritten Aktes verkündet ein Blumenband mit den Worten Richard Wagners (in Bayreuth an Ort und Stelle nachzulesen), dass dieses Haus „Wahnfried“ benannt sei…

Sei es drum, es war ein aufregender, ein toller, ein herrlich gesungener Opernabend. Danke an „Oper für alle“, die dies in München ermöglichen, danke an die Stadt Wien, die dies auf den Rathausplatz brachte. Und ganz ohne Geschleime (wer bräuchte das noch bei einem Direktor, der sich verabschiedet) – danke auch an Ioan Holender, dass er es geschafft hat, die Staatsoper „auf die Straße“ zu bringen: Die alte Diskussion, Oper sei nur etwas für „Reiche“ und „Großkopferte“, ist damit erledigt. Wer Hochkultur will, bekommt sie. Kostenlos. Höchste Qualität. Man muss nur hinkommen. Das ist ja wohl nicht zu viel verlangt.
 

Anmerkung: * Ist der Grund für diese plötzliche Begeisterung vielleicht die Tatsache, dass Jonas im deutschen Fach wenigstens keinem anderen, von Frau Wagner geschätzten, "Lockenköpfchen" den Rang ablaufen könnte? Wir wissen es nicht und wir bilden uns auch nichts ein, aber vielleicht sollte die Schreiberin mal ein paar internationale Kritiken zu Jonas Auftritten als Des Grieux und Cavaradossi lesen.






 
 
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