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DrehPunktKultur, 06.07.2009 |
Von Oliver Schneider |
Wagner: Lohengrin, München, 5. Juli 2009
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Brandstifter Lohengrin
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Die Idee ist frappant: Der englische
Regisseur Richard Jones nähert sich in München Richard Wagners
Übergangswerk, indem er den Aufbruch der Gesellschaft in ein neues Zeitalter
als Bau eines Hauses interpretiert.
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06/07/09
Solange Elsa mit einigen Getreuen Ziegel und Ziegel aufschichtet, will der
Bau nicht voranschreiten. Jones zeichnet Elsa mit ihren mädchenhaften Zöpfen
als Frau, die der Gewalt Telramunds und seiner Gefolgsleute machtlos
ausgeliefert ist. Nicht nur bezichtigt der stimmlich gewaltige Wolfgang Koch
sie des Brudermords, sondern zerstört ihr auch einen Teil des Geschaffenen.
Damit der Bau auch ein paar Fusstritte gegen die Ziegeln aushält, bedarf das
Haus statischer Bauplanung. Lohengrin ist genau der richtige Helfer, denn er
hat bereits zu den Klängen des Vorspiels am Reißbrett das Haus konstruiert.
Schnell schreitet der Bau nun voran, was Jones und sein Ausstatter Ultz auch
dadurch beschleunigen, dass sie die Szenen abwechslungsweise auf dem
Bauplatz oder vor einer weißen Wand mit links und rechts je einer Tür
spielen lassen.
Dass das gemauerte Haus innen den Charme einer Berghütte verströmen muss,
lässt sich wohl damit erklären, dass Lohengrin auch seine Fähigkeiten als
Zimmermann beim Bau einbringen wollte. Ausserdem endet der schöne Traum der
gemeinsamen Zukunft bekanntlich mit Elsas neugieriger Herkunftsfrage, worauf
der Gralsritter Ehebett und Kinderwiege mit Benzin übergießt und Feuer legt.
Richard Jones’ Metapher endet an dieser Stelle, nicht jedoch Wagners Musik,
so dass die letzte Szene wieder vor der weissen Wand und später auf fast
leerer Bühne spielt. Fast leer, wäre da nicht der oratorienhaft postiert
Chor, der ein Spiel der Protagonisten verunmöglicht. Ein Manko übrigens, das
dem gesamten Abend anhaftet: Entweder ist die Bühne mit Haus Wahnfried, wie
das Heim der beiden Jungvermählten zu allem Übel auch noch heisst, und einer
Passerelle quer über die Bühne verstellt, oder die heruntergelassene Wand
reduziert die Spielfläche auf ein Minimum.
Es scheint ohnehin, dass Jones zum Thema Personenführung schlicht nichts
eingefallen ist. Denn wie sonst lässt sich erklären, dass die arme Elsa auf
Ortruds Boshaftigkeiten vor dem Münster nur wie eine Irre im Kreis
herumzugehen vermag. Eine Spur davon, was die Szene beherrschen bedeutet,
bietet nur die erste Szene des zweiten Akts, wenn Ortrud ihrem Gemahl den
Teufelspakt anbietet.
Zutiefst pessimistisch ist schliesslich das Schlussbild. Zu Gottfrieds
Rückkehr richtet Ortrud die Pistole auf sich und regt damit zum kollektiven
Selbstmord an.
Die einhellige Ablehnung, der sich das Regieteam am Premierenabend mit
bewundernswertem Masochismus stellte, kontrastiert mit der musikalischen
Seite des Abends. Vollends die Erwartungen erfüllen die beiden
Rollendebütanten: Jonas Kaufmann und Anja Harteros. Kaufmanns dunkel
grundierter und lyrisch fundierter Tenor verfügt über heldische Kraft und
metallische Strahlkraft, um die Partie des Schwanenritters mit Bravour zu
meistern. Erwähnt seien auch die perfekt verblendeten Register sowie seine
exzellente Phrasierung und Diktion, womit auch die Harteros punkten kann.
Klangsatt leuchtet ihr jugendlich frischer Sopran in den ersten beiden
Akten, und für den dritten Akt bringt sie den nötigen dramatischen Aplomb
mit.
Auf hohem Niveau halten die übrigen Protagonisten mit: Michaela Schuster
singt die Ortrud mit hochdramatischer Wucht, Christof Fischesser verströmt
als König Heinrich nach wackligem Beginn satt strömenden Wohlklang, Evgeny
Nikitin ist als stimmgewaltiger Heerrufer von der Regie auf eine Art
Schiedsrichterhochsitz verbannt. Mit einer Chorleistung der Extraklasse
warten die von Andrés Máspero einstudierten Chöre der Staatsoper auf.
Unter der Leitung ihres Generalmusikdirektors Kent Nagano entfaltet das
ebenso gut disponierte Staatsorchester mit seinen prächtigen Blechbläsern
einen strukturierten, hellen Klang, der vor allem der lichten Gralswelt und
der naiv-reinen Elsa-Welt gut ansteht. Den Kontrast der erdigen Realität
Brabants versucht Nagano vor allem mit dem Drehen an der Dynamikschraube
hörbar zu machen, womit er aber zuweilen an die Grenzen des Zumutbaren
stösst.
„Oper für alle“ lautete das Motto der Festspielpremiere, die live auf den
Max-Joseph-Platz und zeitversetzt auf den Wiener Rathausplatz übertragen
wurde. Rund tausend Besucher jubelten am Schluss in München den Mitwirkenden
zu. Weiters mischten junge Videokünstler als „Lohengrin-Piraten“ in einem
Zelt auf dem Marstallplatz die Bild- und Tonkanäle der Übertragung mit
eigenem Bildmaterial und entwickelten die Handlung so im Diskurs weiter.
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