Merkur, 06.07.09
Von Markus Thiel
Wagner: Lohengrin, München, 5. Juli 2009
Dünne Beziehungskiste
 
München - Nur sängerisch festspielwürdig: Eine Kritik der Premiere von Wagners „Lohengrin“, inszeniert von Richard Jones und dirigiert von Kent Nagano, bei den Münchner Opernfestspielen.
Foto: W. Rabanus
Bildunterschrift: Sie geben ihrer Zukunft ein Zuhause: Elsa (Anja Harteros) und Lohengrin (Jonas Kaufmann) mit dem toten Telramund (Wolfgang Koch).

Zinstechnisch wäre ja keine schlechte Zeit dafür. Immerhin verlangt die Commerzbank aktuell 4,30, die Deutsche 4,33 und Münchens Stadtsparkasse nur 4,09 Prozent für den Immobilienkredit. Patent wie Elsa ist, macht sie sich in der Latzhose gleich selbst ans Mauern. Schleppt Ziegel, trägt grazil den Mörtel auf. Und wen sie mag, der darf mitwerkeln am Heim, das ihrer und Lohengrins Zukunft ein Zuhause geben soll. Nicht nur bei Blitzmerkern macht’s da nach zehn Minuten „Klick“: Haus ist also gleich Beziehungskiste. Noch ein bisschen kritisch-ironisch gemeintes Deutschtümeln à la Braunhemden und Runen-Reihe, etwas Big-Brother- plus Bayreuth-Anspielungen, dazu der Chor als Massenmäuse in blauen T-Shirts – fertig ist das „Konzept“. So weit, so dünn. Und so diffus.

Viel mehr haben Richard Jones (Regie) und sein Ausstatter Ultz nicht in petto für diese „Lohengrin“-Premiere im Münchner Nationaltheater, die einen Buh-Sturm provozierte. Natürlich ist manches logisch in diesem simpel gezimmerten Rahmen. Auch, dass der gefrustete Held nach Elsas Frage die Kinderwiege mit Benzin übergießt und das Eigenheim im Fichtenholzcharme abfackelt – eine Götterdämmerung im Bonsai-Format. Zuvor noch die improvisierte Trauung am Bürotisch: alles nur Kleinklein in einer Inszenierung, die sich in linkisch verdrucksten oder eingefrorenen Rampenszenen geriert, als habe man nach Probenkrach in ein paar Tagen alles flugs durchgestellt.

Dass es immer wieder zu berührenden, sehr intensiven Momenten kommt, vor allem im Brautgemach und bei Lohengrins Abschied, sei nicht verschwiegen. Und ist wohl alles Eigenbau zweier ausstrahlungsmächtiger Sänger, die nun alle Welt gleich zum Traumpaar küren dürfte. Dabei haben Anja Harteros und Jonas Kaufmann zumindest vokal wenig gemein.

Anja Harteros ist als Elsa kein leidendes Liebchen, vielmehr eine stolze, selbstbewusste, im Zickenkrieg mit Ortrud kämpferische Frau. So, wie sie singt und spielt, denkt man wagnertechnisch weiter: Elsa, Senta, Sieglinde – im Geiste alles Schwestern. Anja Harteros verfügt über eine Gestaltungskunst, die ihr in der Aufführungsgeschichte des Stücks einen der obersten Ränge sichert. Ihr dunkler, leicht gutturaler Sopran bietet ein vollendet schönes Piano, kann sich zu klug dosierten, dramatischen Momenten öffnen. Nichts ist hier angestrengt oder erkämpft, sondern stets suggestiv und seelenvoll erfüllt.

Anders Jonas Kaufmann, dessen eingedunkelter Tenor ja wenig mit dem Lohengrin-Klischee zu tun hat. Dort, wo der Star vokalen Bizeps einsetzen darf, mag man sich kaum satthören. Seine Krafteinteilung ist mustergültig, am Ende, wenn die gefürchtete Lage um die hohen „A“s kaum Ausruhtöne zulässt, hat er noch Reserven – zumal er die Gralserzählung ganz zurückgenommen, als versonnenen Moment eines gebrochenen Helden singt. Doch „Glanz und Wonne“, das bleibt bei Kaufmanns Lohengrin Behauptung: An Piano-Tönen droht er sich zu verschlucken, die Beimischung von Kopfstimmen-Klang in zurückgenommenen Passagen funktioniert nicht, seine Mezzavoce ist folglich nur vorgetäuscht. Dennoch ein imponierendes Rollendebüt – auf nach oben offener Entwicklungsskala.

Regiebedingt flüchten sich die Kollegen in Stereotypen. Michaela Schuster ist das gewohnte Ortrud-Biest, kontrolliert ihre Dramatik besser als kürzlich im Berliner „Lohengrin“. Und wer so dick auftragen kann wie der grandiose Wolfgang Koch, der darf das auch: ein Energieprotz, der sich diktionsgenau und mit Nuancierungswut in den Telramund stürzt. Christof Fischesser ist als König Heinrich, obgleich mit attraktivem Bass gesegnet, (noch) nicht formatfüllend. Und welch undankbare Brüll-Partie der Heerrufer ist, lässt Evgeny Nikitin keinen Ton lang spüren. Musikalisch also alles Staatsopern-würdig?

Dazu gibt Kent Naganos Dirigat zu viele Rätsel auf. Ein „Lohengrin“ der Extreme. Vieles ist zu laut. Anderes, wie das wirklich einmal weltentrückte Vorspiel oder eine Gralserzählung am Rande der Hörbarkeitsschwelle, verraten den behutsamen Gestalter. Nagano zielt auf einen lichten Gegenentwurf zur gepanzerten Deutschromantik – und steht sich mit eklatanten handwerklichen Problemen selbst im Weg: Obwohl die Chorphalanx manchmal nur drei, vier Meter vom Dirigenten entfernt ist, geraten große Ensembles ins Schwimmen. Auch das Staatsorchester, das sich bei Wagner doch so hörbar wohlfühlt, rastet nicht immer aufs Metrum ein, könnte, bei aller Klangfinesse, viel profilierter spielen.

Nagano lädt eher zur Musik ein, statt sie mit zupackendem Schlag zu kontrollieren, und kaschiert dabei vieles mit effektvollen Bewegungen. Überdies ist er kein Sänger-Dirigent. Manchmal werden die Solisten mit hohen Dezibelwerten überfahren, fast immer jedoch alleingelassen, worüber ein gelegentlich erhobener Zeigefinger als Pseudo-Einsatz hinwegtäuscht.
Man nehme nur die Gralserzählung. Die Musik schien hier neben Jonas Kaufmanns Gesang gleichsam herzulaufen. Wo eigentlich gemeinsames Atmen und symbiotisches Gestalten gefragt wäre, kommt es unter Nagano allenfalls zu punktuellen Annäherungen. An Kirill Petrenkos Münchner „Jenufa“-Gastspiel wagt man an diesem Abend kaum zu denken. Glück für Nagano: Die wütenden Buhs konzentrierten sich aufs Regieteam – und waren fehlinvestiert: Skandale sehen anders aus.
 






 
 
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