Donaukurier, 06.07.2009
Von Jesko Schulze-Reimpell
Wagner: Lohengrin, München, 5. Juli 2009
Lohengrin auf der Baustelle
 
München (DK) Kaum je klafften Opern-Glück und -Unglück an einem Abend so weit auseinander. Nachdem der letzte Vorhang zur Münchner Opernfestspielpremiere von "Lohengrin" im Münchner Nationaltheater gefallen war, jubelte und buhte das Publikum in seltener Einmütigkeit: Die Inszenierung war komplett durchgefallen, die musikalische Leistung des Abends indessen wurde von den Theatergästen als ganz großer Wurf gefeiert.
Foto: W. Hösl, Staatsoper
Die stürmische Begeisterung konzentrierte sich besonders auf zwei Sängerstars: auf den blendend wie ein Filmstar aussehenden Jonas Kaufmann (als Lohengrin) und auf Anja Harteros (Elsa), die bildschöne Rheinländerin mit griechischen Wurzeln. Die beiden sind ein neues Traumpaar der Oper, so wunderbar besetzt hat man diese Oper kaum je erleben können. Aber Harteros und Kaufmann können auch fantastisch singen. Beide Darsteller hatten hier ihr Wagner-Debüt. Entsprechend lyrisch gingen beide ihre Rollen an, wobei Harteros mit ihrer voluminösen, unglaublich kontrolliert geführten Stimme die bessere Figur machte. Kaufmanns Vorzüge wurden besonders bei der Gralserzählung deutlich: eine nuancenreich disponierte, vom sonoren Pianissimo bis zum Fortissimo mit wunderbar sanften Übergängen gesungene Arie. Aber Kaufmann hat keinen wirklich metallisch durchschlagenden Heldentenor, seine Stimme wirkt immer etwas eng. Wie er noch schwerere Wagner-Partien (bis hin zum Tristan) demnächst meistern will, ist da ein Rätsel.

Das Liebespaar der Oper bewegt sich in ausgezeichneter Umgebung. Wolfgang Koch gestaltet einen bösartig gellenden Friedrich von Telramund mit Mut zur Hässlichkeit in der Stimme, Christof Fischesser setzt einen warmen, wohlklingenden Bass für die Rolle des Königs Heinrich der Vogler ein und Michaela Schuster als böse Ortrud nimmt mit einem ebenso kraftvollen wie beweglichen Mezzosopran für sich ein. Und auch Evgeny Nikitin, der den Heerrufer auf einem Hochstuhl sitzend spielt, und dessen Botschaften wie in einem George-Orwell-Film auf runden Bildschirmen übertragen werden, macht eine gute Figur.

Wunderbare, farbenprächtige Töne dringen auch aus dem Orchestergraben. Kent Nagano leitet das Bayerische Staatsorchester mit grandiosem physischen Einsatz, energiegeladen, mit untrüglichem Sinn für die dramatischen Passagen: ein schlanker und übersichtlich musizierter Wagner, niemals schwulstig, niemals verschwitzt.

Das klare musikalische Konzept passt eigentlich ausgezeichnet zur äußerst diesseitigen Deutung von Richard Jones. Denn der Brite, der 1994 mit seiner poppigen Kultinszenierung von Händels "Giulio Caesare" stilbildend wirkte, hat versucht, sämtliche utopistischen Elemente im "Lohengrin" auf einen schmalen Silberstreifen auf Lohengrins Hose zu reduzieren. Die mystische Begegnung der Welt des Wunders mit der banalen Realität – sie kommt bei Jones eigentlich nicht vor. Sein "Lohengrin" spielt auf der Baustelle. Elsa eilt zu Beginn der Oper unbeirrt im Blaumann über die Bühne und lässt sich durch nichts aufhalten, auch nicht durch die Anklage, sie hätte ihren Bruder Gottfried ermordet. Der Klassiker aller Lohengrin-Inszenierungen ist natürlich der Auftritt des Schwanenritters. Jones verzichtet auf alle Hinweise einer höheren Wirklichkeit: Jonas Kaufmann erscheint vielmehr im blauen T-Shirt mit dem Schwan in der Hand.

Das gesamte Stück hindurch wird Mörtel gemischt, gezimmert und genagelt bis ein biederes Einfamilienhaus errichtet ist: Während der Ouvertüre sieht man, wie der Architektenplan gezeichnet wird, im letzten Akt zieht das frisch verheiratete Liebespaar ein. So banal, so kleinbürgerlich verschroben gestaltet sich das Eindringen einer höheren, göttlichen Macht in die politische Wirklichkeit. Im dritten Akt brennt Lohengrin das Haus ab, das zurückbleibende Volk der Brabants aber sitzt im dunklen Bühnenraum und greift zur Schusswaffe für den kollektiven Selbstmord. Ein passender Ausklang für eine Inszenierung, die sich selbst ad absurdum geführt hat.






 
 
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