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Der Tagesspiegel, 9. Dezember 2009 |
Frederik Hanssen |
Bizét, Carmen, Mailand, 7. Dezember 2009 |
Ohrwürmer |
Arte blamiert sich mit „Carmen“ im Kino |
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Menschen, die „Carmen“ mögen, interessieren sich auch für das Liebesleben
der Buckelzirpe. Davon scheint man zumindest bei Arte überzeugt zu sein. Der
Kultursender übertrug am Montag Bizets Oper zur Saisoneröffnung der
Mailänder Scala – nicht nur als TV-Ereignis, sondern auch ins Cinestar am
Potsdamer Platz. Daniel Barenboim, Jonas Kaufmann und Netrebkos Gatte Erwin
Schrott live im Kino – gute Idee. Doch vor dem Drama strahlt Arte eine
Dokumentation über Regenwaldinsekten aus: Warzige Urviecher krabbeln durch
den Amazonas, ekelerregendes Getier, auf der Leinwand zu Monstren
vergrößert.
Ein Themenabend? Zu Hause zappt man schnell weg, hier werden die Opernfans
eine Dreiviertelstunde lang mit einer Mischung aus Loriots Grzimek-Parodie
und RTL-Dschungelcamp gequält. Als endlich die Übertragung aus Mailand
beginnt, schwärmt die Moderatorin ausgerechnet von Bizets Ohrwürmern!
Maestro Barenboim dirigiert die Ouvertüre – was für ein Schauspiel. Ein paar
Grimassen und grimmige Gesten genügen, und der Orchestergraben wird
durchpulst von Leidenschaft. Doch was ist das für ein Klang? Wird hier aus
der schalldichten Handtasche mitgeschnitten? Dumpfes Mono scheppert aus dem
Lautsprecher, immer wieder setzt der Ton aus. Allein die Worte der
Moderatorin haben Stereoqualität. Von Emma Dantes Inszenierung sieht man
auch fast nichts, die Bühne liegt dauerhaft im Dreivierteldunkel. Statisten
wuseln im Hintergrund herum, vorne wird konventionell agiert. Kaufmann
ist der perfekte Don José, Anita Rachvelishvilis Carmen ein Pummelchen,
macht das aber wett mit vokaler Sinnlichkeit.
Also den Blechbüchsensound noch ein wenig aushalten, wenigstens bis zum
Torero-Lied. Erwin Schrott ist der hübscheste Sänger der Welt, die
Escamillo-Tessitura aber hat er nicht, stochert herum in der Tiefe, wobei
mehr als ein Ton verrutscht. Nie wieder Ohrwürmer im Kino! |
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