Pforzheimer Zeitung, 23. Oktober 2009
Thomas Weiss
Konzert, Baden-Baden, Festspielhaus, 22. Oktober 2009
Wenn Substanz und Optik stimmen
 
BADEN-BADEN. Außergewöhnliche stimmliche Fähigkeiten reichen schon lange nicht mehr, um eine internationale Karriere zu sichern. In Zeiten, da die Marketingabteilungen der großen Plattenformen mehr zu sagen haben als die CD-Produzenten, müssen auch Optik und Ausstrahlung stimmen. Ob ein Ausnahme-Tenor wie Luciano Pavarotti mit seiner ungebremsten Lust auf Pasta heute noch eine Weltkarriere machen könnte, scheint unter diesen Prämissen fraglich. Bei Jonas Kaufmann, dem ersten seit vielen Jahren wieder weltweit erfolgreichen deutschen Tenor, stimmt indes die künstlerische Substanz ebenso wie die Optik, seine Bühnenpräsenz überzeugt ebenso wie seine gestalterische Intensität.
„Carmen“ als Zugabe
Bei seiner umjubelten Gala im ausverkauften Festspielhaus Baden-Baden präsentiert er sich mit der Weimarer Staatskapelle unter Leitung von Michael Güttler als intelligent gestaltender Künstler, der mit seinem auf Arien und Szenen von Beethoven, Mozart, Weber und Wagner ausgerichteten Programm (siehe auch „CD-Tipp“) es weder sich noch seinem Publikum besonders leicht machte. Arien-Bonbons wie Don Josés „Blumenarie“ aus Bizets „Carmen“ bewahrt er sich für die Zugaben auf, wobei er einmal mehr unterstrich, dass er auch in Zukunft weiterhin italienische und französische Partien auf den großen Opernbühnen von Covent Garden bis zur New Yorker MET interpretieren wird. In der Kurstadt an der Oos singt Kaufmann sich schon von den ersten, sehr kontrollierten Tönen von Beethovens „Gott, welch Dunkel hier“, der Auftrittsszene des Florestan aus „Fidelio“, in die Herzen des Publikums. Über dem baritonalen Kern seines in den vergangenen Jahren schwerer und dunkler gewordenen Tenors erhebt sich bruchlos eine metallisch-durchschlagkräftige Höhe, die aber trotz mancher Ausflüge ins jugendliche Heldenfach kaum etwas an Flexibilität verloren hat.

Dass sein Tamino (Mozarts „Zauberflöte“) kein ganz junger, überschwänglich verliebter Prinz, sondern ein eher erfahrener Liebender ist, mag man bedauern, dafür ist der „Stahl“-Anteil in seiner Stimme eine Labsal. Kaufmann, der auch von einer stimmtechnisch gesicherten Basis aus emotionalen Überschwang beweisen kann, unterstreicht dies bei der nuancenreichen Arie des Max aus Webers „Freischütz“.

Dennoch scheint der Sänger bei Wagner, im kommenden Jahr wird er in Bayreuth als Lohengrin debütieren, am meisten in seinem Element. Nicht nur die Ausdrucksintensität und die kraftvoll-ungefährdete Höhe seines Tenors prädestinieren ihn dafür, es sind ebenso die belcantistische Grundlage und seine Pianokultur, die die Ausschnitte aus „Parsifal“, „Die Walküre“ oder „Lohengrin“ zu einem Ereignis machten. Subtiler kann man den Schmerz des „Reinen Toren“ Parsifal und seinen Kampf gegen die Anziehungskraft von Kundry („Amfortas! Die Wunde“) kaum auf die Bühne bringen. Kaufmann verzichtet dabei auf äußerliche Effekte, setzt ganz auf die Wandlungsfähigkeit seines Tenors. Siegmunds „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ geht er fast liedhaft an, den Überschwang subtil und farbenreich steuernd. Und die „Grahlserzählung“ Lohengrins beginnt er mit wahrlich unterirdischen Tönen von erlesener Schönheit im Pianissimo-Bereich, um sich zu strahlender Höhenemphase zu steigern.

Hervorragende Bläser
Güttler und die steigerungsfähige Weimarer Staatskapelle sind Kaufmann nicht nur aufmerksame Begleiter. Nach solidem Beethoven („Coriolan“-Ouvertüre), Mozarts „Don Giovanni“ und der „Oberon“-Ouvertüre Webers kann die mit hervorragenden Bläsern und gedeckten Streicherfarben operierende Staatskapelle bei Wagners „Lohengrin“ mit differenziertem Überschwang und bei Schuberts „Rosamunde“-Musik mit subtilem Klangfarbenzauber aufwarten.
Foto: Kremper






 
 
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