Opernglas 2/2008
M. Lehnert
Verdi: La Traviata, London, ROH, 14. Januar 2008
La Traviata
Nach Wien, Berlin und Salzburg ist auch aus London von einem triumphalen Erfolg Anna Netrebkos als Violetta zu berichten. Mit Konfettiregen und orkanartigem Jubel dankte ein enthusiasmiertes Publikum dem Sopranstar nach der Vorstellung, überwältigt äußerte sich sogar die britische Presse tags darauf. Es ist vor allem die unbedingte und tiefgreifende Erfassung einer Figur, die bei dieser singulären Interpretation im Vordergrund steht. Keine Manierismen, kein bloßes Zurschaustellen, sondern Gesang und musikalischerAusdruck in schönsten und wärmsten Tönen, schattiert, differenziert, raffiniert, abgedunkelt und dann wieder leuchtend in den Acuti. Anna Netrebko demonstriert eine eruptive musikalische Gestaltungskraft, vor der jeder kapitulieren muss, der nach mühsamem Suchen ein „Härchen in der Suppe“ gefunden zu haben glaubt. Dazu ein Charisma, das es jedem Partner schwer macht, daneben zu bestehen. Erst recht, wenn ihr Gesang wie in den ersten Takten der Partie so unspektakulär eingedunkelt ist, wo der Partner leichtes Spiel zum Punkten zu haben glaubte. Mit sympathischer Biestigkeit spielt La Netrebko mit Tenor, Dirigent, Publikum und Presse. Und es macht einfach Spaß, sie dabei beobachten zu dürfen, weil es so ausbalanciert im Rahmen der Rolle bleibt, ihn damit geradezu erweitert. Diesmal also kein erotisches Miteinander, sondern ein Abwarten und partnerschaftliches Ergänzen in der Gestaltung von Duetten und Szenen mit dem Alfredo in der Verkörperung durch Jonas Kaufmann. Der deutsche Tenor hat vor allem eine (zu) schlanke Figur und einen großen Atem. Er gestaltet stimmlich sauber und korrekt, sucht aber auch noch nach Kraft und Farben zum sicheren Platzieren von Effekten, weiß dafür um Stilsicherheit, Piano und Legatokultur. Die Vornehmheit seiner Interpretation mag ohne die Omnipotenz dieser Partnerin neben sich für höchstes Niveau stehen. Im Februar und März wird man ihn allein bei Einzelkonzerten in Deutschland erleben und die Qualität seiner Stimme ohne Ablenkungen auf sich wirken lassen können.

Auf vergleichbar hohem Niveau agierte auch Dmitri Hvorostovsky als sein Vater Giorgio Germont, nur mit noch längeren Legatobögen und mit Ausnahme einiger weniger nach wie vor nicht voll präsenter Töne noch eine Spur souveräner, ausdrucksstärker und mitreißender. Drei im Grunde unidiomatische Interpreten aus Russland und Deutschland für eine der italienischsten Opern überhaupt und dann in England - vielleicht war das gerade jene prickelnde Zusammenstellung, die es erst ermöglichte, diese- inzwischen muss man sagen - unsäglich altmodische Produktion (Richard Eyre), deren Premiere 1994 unter Sir Georg Solti mit Angela Gheorghiu stattgefunden hatte, zu goutieren. Man merkte ihr nicht an, ob sie das Rollenporträt Anna Netrebkos erleichterte oder erschwerte, zumindest behinderte sie es nicht durch unnötige Ablenkungen von einer Ausnahmekünstlerin auf der Spitze ihrer Leistungskraft, höchst sensibel und brav unterstützt von einer rücksichtsvollen, nahezu sich selbst aufgebenden musikalischen Leitung durch Maurizio Benini und die feinnervige, dynamisierte Brillanz von Chor und Orchester des Royal Opera House Covent Garden und durchweg auf höchstem Niveau sich ihrer kleineren Aufgaben entledigenden Comprimarii. Von ihnen bedarf der verheißungsvolle Mezzosopran der Litauerin Monika-Evelin Liiv als Flora besonderer Erwähnung.






 
 
  www.jkaufmann.info back top