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Frankfurter Rundschau |
VON JOACHIM LANGE |
Beethoven: Fidelio, Paris, Opéra Garnier, 25. November 2008
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Ohne Plan gelungen
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Manchmal sind die Geschenke, die man sich selbst
macht, die besten. Gérard Mortier, dessen Zeit als Pariser Opernchef sich
dem Ende nähert, hat die Premiere eines neuen "Fidelio" inklusive neuer
Dialogtexte im Palais Garnier auf den Tag seines 65. Geburtstages angesetzt.
Dass Sylvain Cambreling mit dem Orchester der Pariser Oper und einem
exquisiten Ensemble das Geschenk in musikalischer Spitzen-Qualität liefern
würde, war zu erwarten. Cambreling ist präzise und leidenschaftlich, bedient
geschmeidig das Singspiel, lässt dem Text Raum zur Entfaltung, forciert
nicht, lässt das Befreiungspathos aber dann doch lodern. Mit Angela Denoke
als Leonore, mit dem ihr eigenem Timbre und gestalterischer Kraft; mit
Jonas Kaufmann als einem mit seiner strahlenden Höhe ans Herz greifenden
Florestan; mit Franz-Josef Selig als warm profundem Rocco, Alan Held als
einem hysterisch furchterregenden Pizarro, Julia Kleiter und Ales Briscein
als Marzelline und Jaquino, und schließlich mit Paul Gay als alles
richtendem Minister. Da auch der Chor in Bestform war, wurde
Referenzverdächtiges geboten.
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Regisseur Johan Simons, demnächst Schauspielchef der Münchner Kammerspiele,
hat sich auf die Seite der Geschichte von der Befreiung des zu Unrecht
Gefangenen durch seine Frau gestellt. Jan Versweyvelds Bühne wirkt
beklemmend eng und wird von einem Überwachungsraum mit Kontrollbildschirmen
und einer angedeuteten Kleiderkammer beherrscht. Die Zugangsschleuse rechts
ist mit moderner Sicherheitstechnik ausgestattet, eine Treppe in der Mitte
führt in den Untergrund. Florestans Einzelzelle dann ist nur über eine die
ganze Bühnenhöhe einnehmende Treppe zu erreichen.
Das Finale inszeniert Simons als Einbruch von Freiheit in eine düstre Welt.
Da verschwinden die Wände, die Menschen strömen nach vorn, die Frauen tragen
unter ihren Mänteln bunte Kleider. Fehlt es noch an Freiheit, so nimmt Greta
Goiris an dieser Stelle geputzte Menschen dafür. Musik und Szene nehmen das
Finale beim Wort und weichen dem Pathos nicht aus. Nur das wiedervereinte
Paar bleibt am Ende im Licht, als alle anderen schon wieder im Schatten des
Gegenlichtes entschwinden.
Simons' unaufgeregte Inszenierung wirkt sowohl mit ihrer Blickrichtung aufs
überzeitlich Moderne als auch mit dem Versuch, Peinlichkeiten zu vermeiden,
wie eine Korrekturagenda der gerade gründlich in jede Falle getappten
Inszenierung von Amélie Niermeyer in Duisburg. Waren dort die Eingriffe in
die Dialogtexte keine Verbesserung, so ist es in Paris mit Martin Mosebachs
neuen Texten gelungen, den gröbsten ererbten Libretto-Unfug nicht zu
verschlimmbessern. Die neuen, obendrein gut gesprochenen, meist
monologisierenden Texte bringen Einblicke in die Innenwelten der Akteure. Da
sinniert Marzelline über ihr Männerbild, Jaquino über sein Frauen- und
Eheverständnis, Rocco über seinen Beruf und Pizarro darüber, dass der Staat
in seinem Verständnis gar kein Unrecht begehen kann und wenn doch, dass dann
nichts darüber ans Licht kommen darf.
Es wird hier explizit jene Frage gestellt, die noch jede Inszenierung zu
übergehen pflegt, nämlich die, welchen Plan Leonore gehabt hätte, wenn da
nicht im letzten Augenblick der rettende Minister aufgetaucht wäre. Als
Florestan seine Frau genau das fragt, muss sie nämlich einräumen, in der Tat
keinen richtigen Plan gehabt zu haben. Was für ihr Gefühl, nicht für ihren
Verstand spricht. Bei Simons hatte sie immerhin eine Chance, denn hier kann
sich Leonore mit einer Pistole dem nur mit einem Messer bewaffneten Pizarro
glaubwürdig in den Weg stellen. Da stockt die Maschine für einen Atemzug,
und genau da atmet die Freiheit. Pech für Pizarro, der Minister lässt ihn
einfach fallen, denn er hat durchaus einen Plan: Das Funktionieren des
Staates. Pizarros symbolisches Köfferchen mit den Instrumenten der Macht
wechselt den Besitzer. Doch die Tür ist offen. Und nicht nur ein Hauch von
Freiheit weht da herein, sondern ein musikalischer Sturm.
"Fidelio" funktioniert in Paris also nicht nur musikalisch, sondern auch als
Stück, selbst in den gesprochenen Passagen. Die neue Version sollte
Nachahmer finden. Schön von Mortier, was er sich da geleistet hat und dass
alle zusehen können. |
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