Klassikinfo
Benjamin Herzog
Bizét: Carmen, Zürich, 28. Juni 2008, Vorstellung 1.7.2008
Das Vernichtungsgeschäft der Torera
Franz Welser-Möst und Matthias Hartmann brachten eine amüsant-bedrohliche "Carmen" ins Zürcher Opernhaus
Der Eindruck täuscht. Spanischer Hitzehimmel, Kneipenstimmung mit Glühbirne und Cerveza aus dem Zapfhahn, Olivenbaum und Zigarrenfabrik - das sind wohl die Insignien, die zu einer "Carmen"-Inszenierung gehören. Zu sehr, zu oft, zu banal. Weshalb Regisseure und Bühnenausstatter meistens darauf verzichten. In Zürich aber gab es wieder einmal eine andeutungsweise spanische Version dieser spanischsten, wenngleich von einem Franzosen geschriebenen aller Opern.

Damit das gut wird und nicht im Klischee versandet, gehört sie entrümpelt. Der Stierkampf ist auf ein kleines Fernsehbild beschränkt, "Spanien" ein karger Mittelmeerraum: Farben, Flächen, Symbole ohne Postkartenkitsch. Zeitlich sind wir in ungefährer Gegenwart. Und es darf einem auch heute alles ein bisschen spanisch vorkommen. Also: fremd, heiß, glühend. Die Emotionen kochen in der Oper zwar sowieso schneller über als sonstwo. Kunst aber ist es dann, wenn dem abgebrühten Zuhörer tatsächlich ein kleiner Schauer die Wirbelsäule kitzelt.

Vesselina Kasarova beherrscht es, dieses kitzeln. In ihrer Havanaise von der Liebe als "oiseau rebelle" treten die tiefen Gurgeltöne ihrer gereiften Stimme als bedrohliche Warnungen hervor. Ihre Messa di Voce lässt das schwere bedeutsame Wort "amour" in die Höhe fliegen. Dabei verschwindet es - absichtlich - silbenweise. Die Leichtigkeit, mit der Kasarova das "Trallala"-Lied musikalisch phrasiert, zeigt so viel Witz und Überlegenheit, dass das ganz automatisch in Ironie umschlägt. Und in Aggression: "Fass mich nicht an!" Das ist genau inszeniert und hervorragend gespielt. Kasarovas enorme Bühnenpräsenz wäscht die Titelrolle von jeder seifigen Imitation frei. Sie gibt ihr den gefährlichen Kern zurück, den eine Carmen haben muss. Als Fleisch gewordener Projektionstraum der Männer, als Geist, den man rief, und der nun übermächtig angetreten ist, um die Männer und ihre kleinliche Vorstellung von Liebe zu vernichten.

Dieses Vernichtungsspiel, diesen Stierkampf mit weiblichem Torero lassen Hartmann und sein Bühnenbildner Volker Hintermeier auf einer kreisrunden Fläche spielen. Eine Arena ist das und das Tablett, auf dem wir die Geschichte direkt vor die Nase gestellt bekommen. Dabei würzt Hartmann den Ernst des Liebens mit Humor. Etwa, wenn die Schmugglerkerle Frauenkleider anziehen, in denen sie die Zöllner bezirzen wollen. Oder wenn ein auf dem Souffleurkasten dösender Hund zur Musik mit Schwanz und Ohr wedelt.

Im dritten Akt geht über dem Gebirge ein gigantischer Mond auf. Das Gestirn hat Symbolwert. Es gehört zu dem erst blassen, dann von einer glühenden Sonne beschienenen Don José. Zu voller Pracht geht er auf, wenn Jonas Kaufmann seine großen Arien hat. Dieser José spielt nicht mit der Liebe, er besingt sie aus vollem Herzen. Dabei hat Kaufmann wunderbare Reserven und ein glühendes Timbre. Dass bei dieser Innigkeit die Höhen noch etwas angestrengt sind, sei verziehen. Die Brille, die so arglos auf Josés Nase sitzt, verweist auf dessen naive Kurzsichtigkeit. Der Kenner weiß aber: Nicht er wird schließlich von Carmen zerstört, sondern es ist umgekehrt.

Damit aber, dass also das zu mächtig gewordene Objekt der Liebe und Begierde stirbt, fällt der Existenzgrund der um die Sonne Carmen kreisenden Männer weg. Auch derjenige des Stierkämpfers Escamillo, den Hartmann als alternden Don Juan mit Zopf und gespannter Hose auftreten lässt. Michele Pertusi gibt ihm seine Stimme - guter Opernhausdurchschnitt. Die vierte im Bunde, Micaëla, bekommt von Isabel Rey nur angestrengte Töne. Hervor tut sich der Spanier Gabriel Bermúdez als gestaltender und stets verständlicher Dancaïre. Und der Chor: eine stimmgewaltige und gut choreographierte Masse.

Franz Welser-Mösts letzte Premiere als Zürcher Generalmusikdirektor (er ist in dieser Funktion ab 2010 an der Wiener Staatsoper) zeigte, dass auch ein Repertoiresaurier wie "Carmen" neben dem Mitklatschreflex viel Spannung bieten kann. Zügige Tempi, strikt zusammengehaltene Nummern ohne Ritardando-Kitsch. Den militärisch-tragischen Ton in Bizets Musik hat Welser-Möst so geschärft, dass eine überraschende Verwandtschaft zu Mahler entstand. Zwischen den schneidigen Tönen ließ das Opernhausorchester süße Milde leuchten, kleine Inseln der Entspannung. Täuschende Seligkeit, der das Ende im Blut, das unvermeidliche Vernichtungsgeschäft in der Arena der Emotionen nicht anzuhören war.


 






 
 
  www.jkaufmann.info back top