Salzburger Nachrichten
Ernst P. Strobl
Bizét: Carmen, Zürich, 28. Juni 2008
Frauenmord mit Public Viewing
Opernspiel statt Fußballspiel: Die Premiere von "Carmen" wurde in die Zürcher Fanzone übertragen und bescherte dort 2500 Besuchern viele Tränen.
Public Viewing hieß am Samstag in Zürich "öffentliches Weinen". Aber nicht, weil die Nationalmannschaft oder sonst jemand ein Fußballspiel verloren hätte, es ging um großer Oper. Gestandenen Männern liefen da die Tränen über die Wangen, als die Zigeunerin Carmen erstochen wurde. Die "Carmen"-Premiere der Zürcher Oper wurde auf die EURO-Bildschirme in der Zürcher Fanzone zeitversetzt übertragen, alle 2500 Sitze waren am spielfreien Tag besetzt. Intendant Alexander Pereira kann auf den Erfolg im Haus und draußen stolz sein.

"Carmen" von Georges Bizet war die letzte Premiere des scheidenden Musikchefs Franz Welser-Möst. Die Inszenierung hatte der designierte Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann übernommen. An diesen zwei Namen wird sich in naher Zukunft das Wiener Kulturleben messen lassen. Und "Carmen" ist auch einer der Höhepunkte der heurigen Zürcher Festspiele, die von 20. Juni bis 13. Juli zahlreiche Eigenproduktionen sowie Gastspiele in Oper, Theater und Konzert bieten.

Es gibt wenige Opern, die - wie "Carmen" - von Beginn bis Ende so voller Melodien sind, welche quasi zum Volksgut geworden sind. Franz Welser-Möst hatte exakt vorgearbeitet und ließ ab der zündenden Ouvertüre keinen Zweifel daran, dass er mit dem Orchester den emotionalen Bogen für die Unglücksfiguren weit spannen würde: vom sentimentalen Liebesflüstern bis hin zum Ausbruch mörderischer Eifersucht. Dieser Facettenreichtum menschlicher Gefühle bedurfte keines großen inszenatorischen Aufwands. Matthias Hartmann zeichnete mit viel Sinn für Details sehr genaue, schlichte Charaktere. Das waren Archetypen, Machos, Sensibelchen, in ihren Gefühlen, Träumen und gesellschaftlichen Zwängen gefangene Figuren, welchen die Flucht in die vorgebliche Freiheit nur neue Zwänge bringt.

Carmen lockt den schüchternen Sergeant Don José fast mutwillig in die Liebesfalle. Er ignoriert das Flehen des lieben Landmädchens Micaela, lässt sich nicht nur für die Flucht von Carmen vor dem Gefängnis einsperren, sondern schließt sich den Schmugglern an. Dem äußeren Ende einer mickrigen Karriere folgt das böse Finale. Als Carmen sich dem angeberischen Torero Escamillo zuwendet und Don José höhnend zurückweist, greift dieser zum Messer.

Bühnenbildner Volker Hintermeier erreichte trotz der Reduktion auf eine Ellipse mit Rückwand ohne jeglichen Sevilla-Anklang durch Projektionen und Licht atmosphärische Räume, etwa mit einem mystischen Vollmond in der Schmugglerszene. Witzige Ideen wie ein schlafender Hund, der bei Streicheln oder nach Carmens "Habanera" freudig mit dem Schwanz wedelt, lockern die Tragik auf.

Auf Vesselina Kasarova in der Titelrolle war man gespannt. Sie ist weniger eine auffällig erotische Verführerin, sondern legt die Sinnlichkeit in ihre dunkle, markante Stimme. Sie gibt sich als dominierende, aber wankelmütige, einfache Frau. Jonas Kaufmann ist eine Traumbesetzung als Don José, der sich vom Polizisten mit Hornbrille zum kämpferischen Outlaw wandelt und seinen Leidenschaften gegenüber hilflos bleibt. Er ist ein wunderbarer Tenor mit großer Kraft, aber auch - mit von Welser-Möst feinfühlig mitgetragener - warmer Pianokultur.

Auch die übrigen Rollen sind bestens besetzt, wie Isabel Rey als mädchenhafte Micaela oder Michele Pertussi als protziger Escamillo. Opernchor, Jugend- und Kinderchor entzücken in Volksszenen.
Foto: Susanne Schwiertz






 
 
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