Kurier.at, 30. Juni 2008
Judith Schmitzberger
Bizét: Carmen, Zürich, 28. Juni 2008
Die Liebe: ein kaltes und schroffes Land
Die künftigen Chefs von Burg und Oper in Wien gemeinsam in Zürich: Hartmann und Welser-Möst zeigen "Carmen"
Eine Wiener Premiere in Zürich. Und vielleicht ein Vorgeschmack auf eine starke Achse in der Stadt: Der designierte Musikchef der Staatsoper und der ebenfalls designierte Direktor des Burgtheaters haben in Zürich Bizets "Carmen" erarbeitet. Für Franz Welser-Möst ist es ein Abschied, denn er dirigierte am Samstag damit seine letzte Premiere als Generalmusikdirektor des Opernhauses.

Beide zeigen mit dieser Produktion, dass sie nicht vor populären Werken zurückscheuen. Und dass sie gewillt sind, hinter die abgegriffene Fassade eines Publikumslieblings zu schauen. Mit teilweisem Erfolg. Sinnlich, leichtfüßig und dämonisch – die gängigen Attribute von Bizets "Carmen" verweigert die Produktion. Vor allem szenisch.

Unentschlossen
Matthias Hartmann ist in seiner Regie unentschlossen. Er setzt auf Abstraktion und Realismus. Die Soldaten tragen (Polizei)-Uniformen, die Arbeiterinnen Kittel, die Straßenkinder keine Schuhe. Die Bühne (Marlene Baldauf) besteht aus einer leeren Scheibe, die minimal mit (teils witzigen) Requisiten befüllt wird. Die Figuren wirken verloren, greifen zu unbeholfenen Gesten; scheinen darauf zu warten, dass die Musik ihnen sagt, was zu tun ist.
Vesselina Kasarova zeigt bei ihrem Debüt, dass sie stimmlich alles hat, was eine Carmen braucht. Eine glutvolle Tiefe und die flirrende Höhe. Es fehlt ihr nicht an Expression, aber an Eros und Sinnlichkeit. Sie zeichnet eine distanziert herbe, gelangweilte Carmen, die ihre sexuelle Macht zu ihrem Vorteil nutzt. Sie ist maximal gerissen, nie jedoch raffiniert.

Jonas Kaufmann ist ein leidenschaftlicher und hingebungsvollen Don José; ein verklemmter Spießer mit zu kurzer Krawatte und dicker Brille, der die Leidenschaft entdeckt – und nicht damit umgehen kann. Er ist die eigentlich tragische Figur.
Michele Pertusi ist ein zumindest vokal stattlicher Stierkämpfer Escamillo, Isabel Rey eine vokal etwas zu reife Micaëla. Tadellos das weitere Solisten-Ensemble.

Peitsche
Musikalisch hat Franz Welser-Möst sich mehr auf die französische Schärfe des Werks konzentriert als auf spanische Sinnlichkeit. Seine Lesart ist bestimmt und jenseits von Kitsch und Schmalz. Bei ihm ist Temperament ein scharfer Peitschenschlag. Damit unterstreicht er die Dramatik des Werkes, macht esjedoch auch kantig und schroff. Er hat jedoch auch viele Feinheiten hinter der Last der Klischees freigelegt.
Das Orchester agiert dabei präzise, flexibel und schneidig; mitunter kammermusikalisch fein, archaisch, schroff und leidenschaftlich. Sein Ton bleibt jedoch stets unterkühlt. Blaue Flammen satt roter Glut.
Der Blick hinter Klischees ist auch der Regie zugute zu halten. Zumindest im Ansatz. Carmens Freiheit besteht hier nicht darin, sich den Männern nicht zu unterwerfen. Es ist die Liebe, der sie sich nicht unterwirft. Wenn sie durch den eifersüchtigen José stirbt, so tut sie das, weil sie sich an der Liebe versündigt hat. Nicht, weil sie viele Männer geliebt hat. Weil sie gar nicht geliebt hat.






 
 
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