Tagesspiegel, 18. Februar 2008
Von Frederik Hanssen
Puccini: La Bohème, Berlin, Staatsoper, Februar 2008
Lodernde Locken
Gustavo Dudamel und Jonas Kaufmann erobern die Berliner Staatsoper. Mit stürmischer Leidenschaft überzeugten die Jungstars das Publikum. Das Ende ist erst der Anfang.
Da ist der Berliner Staatsoper ein echter Coup gelungen. Sie präsentiert die heißesten Typen des Klassikbusiness, den Dirigenten Gustavo Dudamel und den Tenor Jonas Kaufmann, die augenblicklichen Lieblinge der Szene, zusammen an drei Abenden. Ohne Event-Brimborium und Gala-Preise, in normalen Repertoireaufführungen der schon etwas ältlichen, erzkonventionellen „La Bohème“. Kein Wunder, dass am Sonnabend der restlos ausverkaufte Saal vor Neugier vibriert.

Blendend aussehende Klassiker

Dudamels Talent wurde dank eines vorbildlichen Musikförderprogramms in seiner Heimat Venezuela früh entdeckt, mit 18 Jahren schon war er Chef des nationalen Jugendorchesters, ab Herbst 2009 wird er music director des Los Angeles Philharmonic sein. Die größten Dirigenten fördern ihn, Simon Rattle vertraut ihm das diesjährige Waldbühnenkonzert der Berliner Philharmoniker an, Daniel Barenboim hat Dudamel bereits mehrfach an seine Lindenoper eingeladen.

Jonas Kaufmann ist schon länger im Geschäft, als Mozart-Tenor erarbeitete er sich in Fachkreisen einen guten Ruf – doch der Durchbruch ins Massensegment dürfte dem 38-jährigen Münchner nun mit seinem Debütalbum bei Decca gelingen, auf dem er französische, italienische wie auch deutsche Opernhits mit erstaunlicher Stilsicherheit singt, der erste Tenor aus Deutschland seit langer Zeit, der nicht nur Helden-, sondern auch Verführerqualitäten mitbringt, ein Sänger zudem, der sich dem erotisch-dramatischen Pathos hingeben mag (und kann!), wie sonst nur die Konkurrenten aus Südamerika. Dass sowohl Gustavo Dudamel wie auch Jonas Kaufmann blendend aussehen, tut zwar nichts zur Sache, fördert aber ihre Karriere wie den optischen Genuss der Zuschauer.

Stürmische Leidenschaft

Ein glanzvoller Repertoireabend Unter den Linden also, der das Publikum zum Jubeln bringt, andererseits aber doch einiges in rechte Proportionen rückt. Ja, Dudamels Interpretation hat jugendliches Feuer, stürmend-drängende Leidenschaft, er dirigiert gewissermaßen mit lodernden Locken, so wie man es sich für dieses Drama um die Pariser Twentysomethings wünscht.

Doch der 27-Jährige hat auch hörbar wenig Erfahrung mit Puccini, noch gelingt es ihm nur selten, das Parfum der Partitur voll zu entfalten, mit einem Spitzenorchester wie der Staatskapelle die tausend kleinen atmosphärischen Details auszukosten. Weil er die Emotion immer sofort zum Anschlag hochpeitscht, bleibt vieles roh, gerät zu laut, so dass sich die Sänger unnötig zum Fortissimo gedrängt fühlen.

Eiskltes Händchen dreht auf

Allen voran Jonas Kaufmann: Schon in seiner „Wie-Eiskalt-Ist-Dies-Händchen“-Arie dreht er zu sehr auf. Selbstverständlich gelingen ihm die Powertöne mühelos, er zeigt mannhaften Glanz mit metrosexuellem Schmelz, doch so plakativ ausgestellt berührt sein Rodolfo kaum, bleibt oberflächlich, wo Puccini viel raffinierter denkt.

Verglichen mit Rolando Villazon, der jede Rolle hundertprozentig durchlebt, durchleidet (und am 25. und 26. Februar in Berlin mit Verdis „Requiem“ unter Barenboim beweisen will, dass er nach der sechsmonatigen Zwangspause wegen Stimmbandüberreizung wieder ganz der Alte ist), wird man bei Jonas Kaufmann das Gefühl nicht los, dass sich hier einer vor allem gerne selber zuhört.

Ehre, wem Ehre gebührt

Die Fans im Saal freilich tun das auch, lassen sich von Lindy Humes hollywoodhafter Inszenierung von 2001 nur allzu gern unterhalten und bedanken sich, wenn Mimi (mit weißlichem Sopran, aber darstellerisch intensiv: Alexia Voulgaridou) schließlich ihr Leben ausgehaucht hat, auf die schönste Art, mit der Zuhörer Zuneigung ausdrücken können: mit einem langen, ehrlich bewegten Schweigen nämlich, bevor dann die „Bravos“ losbrechen.

Weitere Aufführungen mit beiden Künstlern in der Staatsoper: 19. Februar und 1. März. Am 20.2. um 18 Uhr signiert Jonas Kaufmann CDs bei Dussmann.






 
 
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