Klassik.com
Frank Bayer
Puccini: La Bohème, Berlin, Staatsoper, Februar 2008
Repertoireaufführung der besonderen Art
Jonas Kaufmann als Rodolfo in Berlin
Giacomo Puccinis Opernklassiker La Bohème erfreut sich seit seiner Uraufführung in Turin 1896 vor allem beim Publikum ungebrochener Beliebtheit und garantiert jedem Opernhaus volle Säle. Vor allem die ohrenfreundlichen Melodien und die knappe, emotionsgeladene Handlung dürften hierbei erfolgreich Pate stehen. Dass man dem Werk von Seiten eines Regisseurs kaum schaden kann, zeigt die seit dem Jahr 2001 im Repertoire der Berliner Staatsoper unter den Linden laufende Deutung der australischen Regisseurin Lindy Hume, mit der sich hier ob ihrer Beliebigkeit, ihrer oberflächlichen Plakativität, nicht näher beschäftigt werden soll, eindrucksvoll. Dass der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt war, lag vor allem an der namhaften Besetzung, die das Haus aufzubieten hatte. Mit Jonas Kaufmann als Rodolfo und Alexia Voulgaridou als Mimi hatte man zwei große Namen der Szene für die Hauptpartien verpflichtet; am Pult der Staatskapelle versuchte sich Jungstar Gustavo Dudamel nach seinem eher peinlichen Auftritt im L’elisir d’amore an gleicher Stelle nun an Puccini – mit weitaus größerem Erfolg.

Zunächst galt das größte Interesse wohl Jonas Kaufmann, dessen Repertoireerweiterung in das italienische Fach derzeit großes mediales Aufsehen erregt. Als großartigen Mozartsänger hat man den gebürtigen Münchner schon lange geschätzt, als Verismo-Tenor trat er in Deutschland bisher kaum in Erscheinung. Nun, da sein neues Label (die englische Decca) eine CD mit ‚Romantic Arias‘ auf den Markt warf, der eine Tournee mit eben jenen, vor allem italienischen Arien folgt, passt die kurzfristige Verpflichtung Kaufmanns als Rodolfo wie die Faust aufs Auge. Und er machte seine Sache gut, zweifelsohne. Seine Stimme blieb stets kontrolliert, war klanglich gut zentriert geführt, besaß Strahlkraft und eine angenehme Biegsamkeit, ohne ihren lyrischen Charakter zu leugnen. Einzig seine Piano-Höhen gerieten eng, luftdurchzogen, teils kehlig. Doch im Grunde bieten Kaufmanns bisherige sängerische Steckenpferde aus Klassik (Mozart, Beethoven) und deutscher Romantik (Weber, Schumann) eine ideale Ausgangsbasis, um zu einem lyrischeren, flexibleren und leichteren Puccini-Stil zurückzukehren, wie er zuletzt wohl bei Beniamino Gigli, mit wenigen Abstrichen auch bei Luciano Pavarotti zu finden war. Bei allem Respekt vor den großen Tenören der letzten Jahrzehnte – ob Sie nun Domingo, del Monaco oder Villazon heißen - mit historisch informiertem Puccini-Gesang haben deren oft hochdramatische Umsetzungen wenig zu tun. Bleibt zu hoffen, dass der junge Deutsche sich seines besonderen Stimmpotentials bewusst ist und nicht den Schritt in eine vermeintlich italienischere, manieriertere Ecke tun wird.

Neben Kaufman wirkte Alexia Voulgaridou als Mimi etwas blass, was weniger an ihrer durchaus berührenden Bühnenpräsenz lag, als vielmehr ihrem zwar wohlig dunklen, jedoch viel zu einfarbigen Timbre geschuldet war. Vor allem das feinfühlige Gestalten großer Linien, das schlüssige Phrasieren war an diesem Abend Voulgaridous Stärke nicht. Als zu unausgeglichen und wenig beweglich erwies sich ihre zweifelsfrei große Stimme. Anna Samuil als Musetta war mit ihrem schrillen, in der Höhe zu extremer Schärfe neigenden Organ alles andere als eine glückliche Besetzung. Schon ihre Donna Anna in der laufenden Don Giovanni Produktion am Haus unter den Linden machte nicht glücklich. Als Musetta agierte die talentierte junge Sopranistin stilistisch unbeholfen, scharf in ihrer Tongebung und nicht zuletzt sinnfrei in den Phrasierungen ihrer großen Arie Quando m'en vo (zwischen ihrer Darbietung und der von Natalie Dessay vor einer Woche an der Deutschen Oper lagen Lichtjahre).
Die übrigen Partien waren bei renommierten Ensemblekräften in besten Händen: allen voran Alfredo Daza als Marcello mit kernigem Bariton und gewohnt intensiver Bühnenpräsenz, Alexander Vonigradov, der seinem Colline eine berückend schöne lyrische Note zu geben wusste, und Arttu Kataja als gelegentlich etwas dünnbrüstiger Schaunard. Erwähnt werden soll hier auch Bernd Zettisch, dem es in seiner kleinen Partie des Alcindoro im zweiten Akt auf unprätentiöse, darstellrisch großartige Weise gelang, zum Aufmerksamkeitszentrum des Geschehens zu werden. Wenn an diesem Abend das Sprichwort von der ‚guten alten Opernschule‘ Anwendung finden konnte, dann bei Zettisch – bravo!

Bleibt als letzte Aufführungskomponente das Orchester mit seinem jungen Gastdirigenten, die beide ihre Sache ganz ausgezeichnet machten. Unter Aufsicht seines Förderers Daniel Barenboim gelangen Gustavo Dudamel Momente großer Intimität und klanglicher Raffinesse. Während er sich in Donizettis Liebestrank an gleicher Stelle noch mit der Koordination von Bühne und Graben hoffnungslos überfordert zeigte, bewältigte der junge Venezolaner die weitaus komplexere Puccini Partitur ausgezeichnet, hielt Solisten und Orchester zumeist in kluger Balance. Dass sein dunkles, etwas zur Dickflüssigkeit neigende Klangbild nicht immer mit dem lyrischen Ansatz Jonas Kaufmanns konform ging, wirkte keineswegs störend, sondern war vielmehr Abbild der großen musikalischen Individualität beider Musiker. Die Staatskapelle Berlin unterstützte den Dirigenten ausgezeichnet, agierte technisch wie musikalisch auf ganz hohem Niveau (die aktuell sehr intensive Probenarbeit mit Daniel Barenboim zeigte hier deutlich Wirkung) und bewies nicht zuletzt in den vielen kammermusikalischen Momenten, die ausgezeichnete Qualität seiner Solisten.
Der Jubel des teils zu Tränen gerührten Publikums galt allen Beteiligten gleichermaßen; für Jonas Kaufmann fiel er besonders stark aus… und dieser war sichtlich erleichtert, gefallen zu haben.






 
 
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