Frankfurter Rundschau, 20.02.2007
Joachim Lange
Mozart: Die Zauberflöte, Zürich, 17. Februar 2007
Im Labyrinth der Ängste
Der Dirigent Nikolaus Harnoncourt und der Regisseur Martin Kusej sind ein eingespieltes Mozart-Gespann, von ausgeprägter Eigensinnigkeit und kaum fixiert auf Erwartungshaltungen des Publikums, eher ihrem eigenen Mozart-Verständnis verpflichtet. Selbst, wenn, wie jetzt im Falle der Zürcher Neuproduktion der Zauberflöte, eine Live-Übertragung im Schweizer und im deutschen Kulturfernsehen bevorsteht, die sogar den interaktiven Wechsel mit der Fernbedienung zwischen vor und hinter der Bühne erlaubt.

Wenn Nikolaus Harnoncourt seinen Mozart umpflügt, wird daraus kein routiniertes Arien-Abhaken und schon gar keine gefällige Hitpräsentation. Er hat sein eigenes, forderndes Verständnis von Präzision und Tempo, gelegentlich verblüffend neben dem eingängig Etablierten. Seine Zauberflöte nimmt er in Zürich jetzt eher dunkel romantisch. In einem vorgreifenden Rückgriff auf Schubert klingt hier manches wie ein dramatisch ausgeleuchtetes Lieddrama, samt Einpendeln und Aufschluchzen. Er hält damit allemal die Neugier wach, selbst auf die bekanntesten Arien dieser Oper und entfaltet musikalische Suggestivkraft mit seiner Individualität.

Und natürlich mit dem auf ihn eingestellten Opernorchester Zürich. Was sich vor allem mit dem kraftvoll grundierten lyrischen Einspringer-Glücksfall Jonas Kaufmann als Tamino, der souveräne Klarheit in Selbstbewusstsein ummünzenden Julia Kleiter als Pamina, dem nicht nur wohltimbriert singenden, sondern auch geschmeidig sprechenden Ruben Drole als Papageno und natürlich dem Sarastro-Urgestein Matti Salminen auch machen lässt.

Göttlicher Wein

Regisseur Martin Kusej, dieser virtuose szenische Schwarzseher, den ein analytischer Ehrgeiz umtreibt, bringt selbst die Zauberflöte auf diesen einen, seinen dunklen szenischen Punkt. Auch wenn es klinisch hell aussieht auf der Zürcher Bühne. Dieser hinterfragende Alptraumnenner gelingt ihm zwar ziemlich stringent, doch ist Mozarts und Schikaneders Zauberflöte eben auch das theatervollblütige Vorstadt- und Welttheater schlechthin, das den gepflegten Klamauk neben das Freimaurerpathos stellt. Nicht gerade in allem handlungslogisch, aber erstaunlich lebenskräftig, kraft der eigenen Unvollkommenheit Weil Papageno eben Papageno ist: Seine Witze funktionieren, selbst wenn man sie - wie Kusej - auf Kalauerformat einschrumpft. Göttlicher Wein in der Coca-Cola-Büchse etwa.

Zwischen und vor den sich ständig verschiebenden, sterilen Wänden eines Untergeschosses von Irgendwas, mit ihren funktionalen Metalltüren, die Rolf Glittenberg auf die Bühne gestellt hat, wird ein sich psychoanalytisch gerierendes Türauf und Türzu entfaltet. Meist lauert ein personifizierter Alptraum von Pamina oder von Tamino und seinem undomestizierten Alter Ego Papageno dahinter. Wie zum Beispiel die Äxte schwingenden, bedrohlich mit den Augen rollenden Schwarzen, die alle wie die schlankeren Abbilder des hechelnden Monostatos (Rodolf Schasching) aussehen.

Für den zweiten Auftritt der Königin der Nacht öffnet sich gar effektvoll eine Kühlschranktür für eine Frau, die aus der Kälte kam und dahin wieder verschwindet. Elena Mosucs Koloraturgewalt lässt nicht nur ihre Tochter frösteln. Oder es tauchen für Augenblicke die nicht nur an der Seele verletzten Opfer der Spielchen einer feinen Gesellschaft in Smoking und Abendrobe auf, die sich gerne um ihren eleganten Guru Sarastro versammelt. Auch wenn manche der Damen im Schulterfreien frösteln und sich eine Decke oder ein Herrenjackett umgelegt haben. Sonst ist das eher ein Klub aus Herren im feinen, weißen Tuch, mit trainiertem Superbody (wie beim Sprecher Gabriel Bermudez) und Freude am Fechten, mit Regeln, die man selbst nicht mehr so ganz ernst nimmt: Wenn Sarastro gefragt wird, ob Tamino auch wohltätig sei, müssen sie selber lachen.

Matti Salminen zelebriert seinen Sarastro mit der Souveränität einer langen Rollenerfahrung und hinterfragt diese zugleich. Hier werden die Feuer- und Wasserprobe zum makabren Partygag einer saturierten Gesellschaft. Zwei Showmaster in weißen Rüschenhemden hatten im Keller mit den Öltonnen Benzin verschüttet und das Paar dann mit einer offenen Flamme durch diesen Raum geschickt. Bei Wackeln Explosion. Die Flammen gehen aber erst hoch, um die Königin der Nacht und ihre Begleiter endgültig zu entsorgen. Was freilich auch diesen zunächst schlüssigen Einfall gleich mit entschärft. Die Wasserprobe findet dann per Videoeinspielung statt: Das Brautpaar wird in einem Daimler unter Wasser getaucht. Die beiden können sich aus dem Wagen befreien und stürzen der feinen Gesellschaft klitschnass wieder vor die Füße.

Wenn sich das Hochzeitspaar am Ende, nach all diesen Alpträumen, nach diesen ausgedehnten Schrecksekunden vor dem Ja-Wort, noch mit dem Erschrecken der Erkenntnis im Gesicht, einander doch wieder zuwendet, dann lächelt Sarastro im Hintergrund mit einer gewissen Don-Alfonso-Gelassenheit. Vielleicht hätte Kusej eigentlich die Nachtseiten von Cosi fan tutte inszenieren wollen? Am Premierenabend mischten sich unter den einhelligen Beifall für die Interpreten erwartungsgemäß auch etliche Buhs für die Regie.






 
 
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