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Neue Zürcher Zeitung, 13.
August 2007 |
Peter Hagmann |
Beethoven: 9. Sinfonie, Luzern, 10. August 2007
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Das Werk, nicht seine Wirkungsgeschichte
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Lucerne Festival |
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Zum fünften Mal hat das von Claudio Abbado
geleitete Festivalorchester die Sommerausgabe von Lucerne Festival eröffnet.
Auf dem Programm stand Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 9.
Lucerne Festival
Was gab es da zu feiern? Nichts, um ehrlich zu sein. Europa ist ein work in
progress wie eh und je, und die Schweiz gehört nach wie vor nicht dazu,
wenigstens nicht ganz. Das Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL) ist erst
neun Jahre alt, da fehlt noch ein bisschen. Und dass das von Claudio Abbado
und Michael Haefliger begründete Lucerne Festival Orchestra seine fünfte
Saison erreicht hat, ist natürlich schön, aber vielleicht doch noch kein
Grund für Glockengeläut. Warum also Beethovens Neunte?
Einfach so halt. Ludwig van Beethovens d-Moll-Sinfonie mit dem grossen
Chor-Finale nach Friedrich Schiller ist ja, rein musikalisch gesehen,
keineswegs das Feierstück par excellence, zu dem sie im Laufe ihrer
Wirkungsgeschichte geworden ist. Sondern nichts anderes als eine Sinfonie –
wenn auch eine etwas besondere, hat sie doch die Weiterentwicklung der
Gattung wie kein anderes Werk ihrer Art geprägt. Und vielleicht hatte
Claudio Abbado auch den Wunsch, das Stück in diesem Saal noch einmal zu
dirigieren, nachdem die von ihm zur Eröffnung des KKL im Sommer 1998 am Pult
der Berliner Philharmoniker geleitete Aufführung, nun ja, nicht in jeder
Hinsicht gelungen war. Der Wunsch wäre umso verständlicher, als ihn
Beethovens Neunte in den Jahren vor und nach seiner schweren Erkrankung im
Sommer 2000 intensiv beschäftigt hat.
Jedenfalls: Einfach so, als musikalisches Kunstwerk und jenseits der
funktionalen Gebundenheit, die ihr später zugewachsen ist, schien Abbado
Beethovens Neunte zur Eröffnung der diesjährigen Sommerausgabe von Lucerne
Festival geben zu wollen. Die Aufführung – sie war dem berühmten, vor
wenigen Monaten verstorbenen Schweizer Tenor Ernst Haefliger gewidmet – war
gross im Ton, aber in keinem Moment pompös, sie lebte vielmehr von
leuchtender Klarheit im Strukturellen, von drängender Energie in den
musikalischen Bewegungen und von hoher Emotionalität in der Aussage, und
dies Letztere nicht erst in dem mit Text versehenen Finale. Greift man auf
die Aufnahmen von Beethovens Neunter zurück, die Abbado in den vergangenen
zehn Jahren gemacht hat, wird der Weg erkennbar, der den Dirigenten von der
getragenen Feierlichkeit früherer Zeiten weggeführt und näher an eine
gleichsam rein musikalische Auffassung gebracht hat. Eine Auffassung, die
auch durch das erneuerte Interesse an den sogenannten Originaltempi und
durch Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis genährt ist.
Sotto voce, wie es die Partitur wünscht, hob der Kopfsatz an, in zügigen
Schritten erreichte er sein erstes Fortissimo in d-Moll – und schon da war
zu hören, zu welch schlanker, strahlender Sonorität das Lucerne Festival
Orchestra in der Lage ist, mit welch federnder Agilität es die von Beethoven
detailliert festgelegten Artikulationen verwirklicht und wie sehr es von den
solistischen Qualitäten in Flöte, Klarinette und Trompete profitiert.
Tatsächlich molto vivace, nämlich ausgesprochen stürmisch, aber doch elegant
im Klang kam der zweite Satz daher, während der dritte zum Höhepunkt der
Aufführung wurde. Abbado nahm ihn sehr ruhig, blieb aber gleichwohl dem
vorgegebenen Schlag in vier Vierteln treu – das heisst, er führte das
Orchester an langer Leine und liess es, wie er es sich wünscht, Kammermusik
im Grossen machen. Und weil die Streicher nicht mit Vibrato drückten und die
Bläser achtsam miteinander konzertierten, ergab sich ein musikalisches
Geschehen von entspannter Eindringlichkeit. Der sorgsam ausgeformte, von den
Kontrabässen getragene erste Übergang vom Vier-Viertel- zum
Drei-Viertel-Takt kann da als herausragendes Beispiel gelten.
Das Finale war dann das Finale – mit seinen Unterstreichungen (obwohl weder
aufgetrumpft noch skandiert wurde) und seinen qualvollen Höhen (die der von
Peter Dijkstra vorbereitete Chor des Bayerischen Rundfunks München ohne
Tadel meisterte). Der Bass Reinhard Hagen rief klangvoll nach
angenehmeren Tönen, Melanie Diener (Sopran), Anna Larsson (Mezzosopran) und
Jonas Kaufmann (Tenor) fügten sich mit ihrem Kollegen zu einem austarierten
Vokalquartett. Aber dann war wenig mehr auszurichten: drängten der
jubelnde Charakter und die Assoziationen an Festlichkeiten mit aller Macht
in den Vordergrund. Dennoch war das eine ausnehmend hochstehende Wiedergabe
von Beethovens Neunter und ein vielversprechender Auftakt zu Lucerne
Festival in diesem Sommer 2007. |
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