|
|
|
|
|
Neue Zürcher Zeitung,
23.10.2007 |
Peter Hagmann |
Humperdinck: "Königskinder", Zürich, Premiere, 21. Oktober 2007
|
Kinder, Künstler und die Wahrheit, die sie sagen
|
Engelbert Humperdincks
«Königskinder» im Opernhaus Zürich |
|
Ganz so einfach ist es also doch nicht.
Natürlich stand Engelbert Humperdinck (1854–1921) ganz und gar im Banne
Richard Wagners. Liess er sich früh von den «Meistersingern» begeistern,
wurde er durch die Begegnung mit dem «Ring des Nibelungen» zum feurigen
Wagnerianer, schrieb er schliesslich, nach der persönlichen Begegnung mit
dem Meister, dessen «Parsifal» ins Reine und geriet er nach Wagners Tod in
eine schwere künstlerische Krise. Und natürlich ist das alles Schritt auf
Tritt zu hören (wenn Musik von Humperdinck denn überhaupt zu hören ist).
Indessen, und das ist nun das ganz grosse Verdienst des Opernhauses Zürich,
lässt sich jetzt auch hören, dass Humperdinck nicht bloss epigonal seinem
Übervater verpflichtet blieb, sondern durchaus seinen eigenen Weg gefunden
hat. Einen Weg, der letztlich zwar in einem Stumpengeleise endete, der aber
doch reichhaltig gesäumt ist von der Vielfalt der Töne, die um die Wende vom
19. zum 20. Jahrhundert aufkamen, und einer unglaublich ausgebauten
Fertigkeit, dieses brodelnde Angebot zu nutzen. Bisweilen gewinnt man sogar
den Eindruck, Humperdinck habe sich mit geradezu spitzbübischem Hintersinn
der Fertigteile aus Wagners Werk bedient, sie listig mit eigenem Gewürz
versehen und mit einem Handwerk sondergleichen zu etwas Neuem gefügt. Das
ist anregend, erheiternd und bewegend zugleich.
Kunstmärchen
Zu erfahren ist es nicht an «Hänsel und Gretel» – jener Oper von 1893, die
Humperdinck bis heute lebendig erhalten hat und die jetzt wieder auf dem
Spielplan des Opernhauses Zürich steht –, sondern an den «Königskindern» von
1910. Und dass es zu erfahren ist, geht zuallererst auf den Dirigenten Ingo
Metzmacher zurück. Eigentlich hätte Armin Jordan, der «Die Königskinder»
2005 in Montpellier dirigiert und auf CD aufgenommen hat, am Pult stehen
sollen, doch der Tod des Dirigenten vor einem guten Jahr hat das zunichte
gemacht. Glückliche Fügung hat nun Ingo Metzmacher nachrücken lassen –
glücklich darum, weil Metzmacher seit diesem Herbst das Deutsche
Symphonie-Orchester Berlin leitet, sich dort auf die Suche nach dem
Deutschen in der Musik gemacht hat (vgl. NZZ vom 10. 10. 07) und in diesem
Kontext auch «Die Königskinder» zu konzertanter Aufführung bringen wird.
Anders als Fabio Luisi, der sich den «Königskindern» 2005 in München
gewidmet hat, verfolgt Metzmacher einen klar erkennbaren, persönlichen und
mutigen Interpretationsansatz – den das Orchester der Oper Zürich
hinreissend umsetzt: in einer klanglichen Schönheit, wie sie in diesem
schwierigen Raum nur selten gelingt, in einer Geschmeidigkeit der Diktion,
die entspannt atmende Übergänge ermöglicht, in einer Farbenpracht, die in
die Tiefe hören lässt, und, zuvörderst, in einer Wärme, die echt ans Herz
geht. Metzmacher spitzt die Tonfälle zu, das ist seine Art; er fördert damit
Hörlust wie Erkenntnisgewinn. Bei den tiefen Bläsern in ihren diversen
Klangkombinationen lässt Wagner grüssen, die hohen Streicher mit ihren
irisierenden Oktavierungen geben zu erkennen, wie sehr sich die deutschen
Komponisten nach 1900 auch von französischer Farbenkunst beeinflussen
liessen, und mehr als einmal klingt an, dass «Die Königskinder» in ihrer
ersten Version von 1897 ein orchestral begleitetes Melodram waren.
Frisch und munter geht es los, durchaus kraftvoll, wie es die üppige
Orchestrierung Humperdincks vorsieht, aber in keinem Augenblick an der
Schmerzgrenze. Das Erinnerungsmotiv mit den Jagdhörnern tritt schmetternd
hervor – und da ist er schon, dieser enthusiastische Ton, der sich in den
Sextsprüngen zu Beginn einer Phrase, den Terz- oder Quintlagen an deren Ende
konkretisiert. Eine Hexe sollen wir da sehen, die ein unschuldig Mägdlein
abrichtet, doch der Ausstatter Mathis Neidhardt zeigt uns weder Wald noch
Häuschen, vielmehr ein Labor, in dem unter der Leitung einer strengen Chefin
(Liliana Nikiteanu zeigt es nicht ohne Schmunzeln) zweifellos
genmanipulierte Pflanzen gezogen werden – «Die Königskinder» sind, so sagt
der Regisseur Jens-Daniel Herzog, ein Kunstmärchen und eines für Erwachsene,
also darf es an die Gegenwart anspielen. Auch der junge Mann mit seinem
Rucksack, der, kaum ist die Chefin draussen, zum Fenster hereinspaziert, ist
unverkennbar von heute.
Wie bei Siegmund und Sieglinde nimmt das Unheil nun seinen Lauf: mit
einem (hier allerdings von Hand gereichten) Trank und mit junger Liebe, wie
sie Isabel Rey als süsse Gänsemagd und Jonas Kaufmann als stimmprächtiger
Königssohn so anrührend zeigen. Allein, der Jüngling ist forsch, das Mädchen
noch scheu, weshalb es fürs Erste nicht klappt. Dafür sind bald zur
Stelle die Herren Spiessbürger aus der Märchenstadt Hellabrunn, der derbe
Holzhacker (Reinhard Mayr) und der verklemmte Besenbinder (Volker Vogel),
für den Humperdinck augenzwinkernd auf «Hänsel und Gretel» zurückgreift. Der
Dritte im Bunde ist ein Musiker, und Oliver Widmer macht klangvoll deutlich,
dass die Gänsemagd alles andere als eine Gänsemagd sei. Ihr Gebet am Ende
kommt nicht an das aus «Hänsel und Gretel» heran, aber die im Dunkeln Gott
sei Dank unbemerkte Träne bleibt nicht aus.
Hellabrunn ist eine ganz normale Stadt mit MacDonald et cetera, aber: Sie
sucht sich einen König. Um zwölf Uhr mittags soll er eintreffen. So folgen
Aufzüge von Bürgern und eine Prügelszene ganz wie in den «Meistersingern» –
und doch nicht wirklich ganz. Denn fein, aber merklich lässt die Produktion
spüren, dass hier etwas nicht stimmt. Subtil werden wir auf die Seite des
Musikers gezogen, der, ganz Künstler, die Wahrheit schon gesehen hat. Die
Masse will sie nicht sehen, das führen der Chor, der Jugendchor und der
Kinderchor des Opernhauses Zürich, von Ernst Raffelsberger vorbereitet,
unüberhörbar vor. Wenn sich dann das Stadttor öffnet, erscheint nicht der
erhoffte Herrscher, sondern die Gänsemagd, die sich dem zum Strassenwischer
degradierten Königssohn als Königstochter anschliessen möchte. Das geht
natürlich nicht, weshalb die beiden zusammen mit dem Musiker schnurstracks
verjagt werden. Übrig bleibt: Marie-Thérèse Albert, das herzige Kind, das
die Wahrheit ebenso gesehen hat wie der Künstler.
Kein Liebestod
Das Ende ist rasch vermeldet, obwohl es den eindrücklichsten Teil dieses
ohnehin eindrücklichen Abends ausmacht. Von Krankheit und Erschöpfung
gezeichnet, findet das junge Paar vor die Hexenhütte, wo es zum Liebestod im
Geiste von «Tristan und Isolde» kommen sollte. Nicht Trank nehmen die beiden
zu sich, sondern das vergiftete Brot, das die Königstochter noch als
Gänsemagd hatte backen müssen. Hier schwingt sich Humperdinck zu einem
tragischen Ton von eigener Kraft auf, der von Ingo Metzmacher in ganzer
Grösse zur Geltung gebracht wird und der Isabel Rey wie Jonas Kaufmann noch
einmal in helles Licht bringt, während es Jens-Daniel Herzog mit
Rampensingen bewenden lässt. Zu spät kommen der Musiker und die Kinder,
das junge Paar hat schon seinen Tod gefunden. Aber nicht einen Liebestod,
der bleibt ihnen verwehrt; die beiden sterben jeder für sich allein. Sie
sollten zusammen nicht kommen. Und Humperdinck ist nicht Wagner. Sondern
Humperdinck. |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|