Mittelland Zeitung, 23.10.2007
Christian Berzins
Humperdinck: "Königskinder", Zürich, Premiere, 21. Oktober 2007
Märchen aus unserer Zeit
Opernhaus Zürich: «Königskinder» von Engelbert Humperdinck bestechend dirigiert und klug inszeniert.
Typisch Opernhaus Zürich? Bevor die Premiere vorbei ist, wird der Erfolg einer Produktion angezweifelt. Eine deutsche Oper, das kann im nördlichsten Opernhaus Italiens, wie man sich in Zürich selbst stolz bezeichnet, ja nicht ziehen. So wurden denn die Eintrittspreise für die Vorstellung vom 4. November auf Preisstufe «Volksvorstellung» gesenkt. Die teuerste Karte kostet also nur 75 Franken (VIP-Karten inklusive Gala-Dinner zugunsten von «Stunde des Herzens» sind für 225 zu haben). Vielleicht wäre dieser Opernausverkauf gar nicht nötig gewesen, denn dem Publikum gefiel Engelbert Humperdincks 1910 uraufgeführte und fast vergessene Märchenoper «Königskinder» am Sonntagabend prächtig.

Kein Wunder: Am Dirigentenpult steht der 50-jährige Ingo Metzmacher, der dem Haus vielleicht bald als Chefdirigent vorsteht. Einen dramaturgischen Kopf wie Metzmacher könnte Intendant Alexander Pereira in seinen letzten Zürcher Jahren gut brauchen › und erst recht einen Musiker dieses Kalibers.

Das ist ein Hören im deutschen Klangwald! Wenn im Vorspiel die Stimmen ineinandergreifen, ist klar, welcher Lauf hier, welcher dort genommen wird. Das Ungestüme, dieser brodelnde Märchenton, wird nie gebremst, aber immer aufgeklärt; und Metzmacher pflückt aus dem Orchester reihenweise schöne Lyrismen, um sie stolz zu präsentieren.

Das Orchester folgt ihm fast übermotiviert, was zu einigen kleineren Aussetzern führt. Zugegeben: Diese Musik ist nicht leicht zu spielen. Ja, wenns im Schlussbild arg süss, bisweilen auch naiv wird, ist ein kühler Kopf gefragt: Dank Metzmacher werden selbst diese Passagen zu kraftvoller Form. Metzmacher ist nämlich ein Dirigent, der das Drama lesen und übersetzen kann: Er macht das Orchester zum dramaturgischen Gestalter. Aber nicht auf die billige Tour, wie etwa bei Lothar Zagrosek, sondern sehr subtil, aber umso eindringlicher. Das dramaturgische Lesen fängt nicht erst an, wenn die Gänse im Orchester schnattern, sondern wenn die Schneeflocken fallen oder wenn vermeintlich Beiläufiges gesprochen wird. Und es wird viel gesprochen, Langeweile gibts › bis zur Pause jedenfalls › dennoch nicht.

In diesem klugen Musizieren hat Metzmacher einen Protagonisten, der mit ihm geht: Jonas Kaufmann, als unerkannter Königssohn. Sehr natürlich sprechend, nimmt er singend seinen Weg. Und nur ganz selten will er auch zeigen, wie toll er über das Orchester hinwegbrüllen könnte; aber es ist, nebenbei, nie ein Brüllen, sondern immer klangschönes Gestalten von Tönen. Meist hält sich Kaufmann zurück, gestaltet klug und passt sich liebevoll seinem weiblichen Gegenüber, der lyrischen Sopranistin Isabel Rey, an. Sie meistert ihren Part wacker, gewiss. Darin sind rührende Passagen › auch darstellerisch gelingt ein berührendes Porträt.

Aber wenn im Schlussbild mehr als Trällern gefragt ist, andere Farben als hoffnungsvolles Beben, kommt sie an ihre Grenzen. Zweifel, ja Abgründe kann sie nicht andeuten. Oliver Widmer ist in der etwas drolligen Rolle des Spielmanns sehr korrekt, hängt ihm stimmlich keine unnötigen Faxen an. Sämtliche weiteren Nebenrollen sind bestens besetzt.

Es wäre noch viel zu erzählen über diese «Königskinder». Regisseur Jens-Daniel Herzog will darin nur Oberflächensignale des Märchenhaften sehen und versetzt die Handlung in eine Gegenwart. So hat etwa die «Hexe» kein Knusperhäuschen, sondern ein Drogenlabor, wo Hanf angepflanzt wird; über dem todbringenden Zauberkuchen hängt kein Fluch, sondern er ist eher voll gestopft mit bewusstseinserweiternden Stoffen. Den Königskindern fährt er denn auch heftig ein. Doch es sind auch «echte» Märchensymbole geblieben: Krone, Schwert und Lorbeerkranz tun ihre schöne Wirkung. Und so gelingt das Kunststück, die Balance zwischen Märchen und sozialer Anklage aufzuzeigen.

Dass die Oper auch vor dem langen Schlussbild fertig sein könnte, macht die letzte Viertelstunde schwierig. Nach der Erfolgsoper «Hänsel und Gretel» versuchte Humperdinck weiterzukommen. Aber wohin, nachdem die Quelle «Richard Wagner» nicht auszuschöpfen war? Regisseur Herzog belässt den Schluss im schönen Licht › das wirkt. Metzmacher umschifft die lieblichen Klänge klug, der dramatische Bogen reisst nicht ab. Und doch machen diese letzten Takte Lust auf mehr, und zwar › pardon, lieber Humperdinck › Lust auf mehr Musik von Richard Wagner. Bei der Dirigentensuche müsste nicht viel Zeit verloren werden.
Foto: Copyright: Suzanne Schwiertz, Zürich






 
 
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