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KlassikInfo.de |
Klaus Kalchschmid |
Humperdinck: "Königskinder", Zürich, Premiere, 21. Oktober 2007
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Tod in der Turnhalle
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Jens-Daniel Herzog und Ingo
Metzmacher verzaubern mit Engelbert Humperdincks "Königskindern" in Zürich |
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Noch immer stehen Engelbert Humperdincks
"Königskinder" im Schatten seiner ungleich populäreren Märchenoper "Hänsel
und Gretel" - ganz zu unrecht, denn das 1910 in New York uraufgeführte Werk
über zwei junge Menschen, die über der Ignoranz ihrer Mitmenschen zugrunde
gehen, ist wunderbar anrührendes, subtil sozialkritisches Musiktheater, das
zwar ohne den Klangzauber des "Parsifal" kaum denkbar ist, aber harmonisch,
melodisch und im Rhythmus der gesungenen Sprache auch eigene Wege geht. An
der Zürcher Oper haben nun Jens-Daniel Herzog als Regisseur und Ingo
Metzmacher am Pult eine rundum geglückte zeitgenössische Version der alten
Geschichte präsentiert.
Zu Beginn ein kurzer Moment des Schreckens: Ähnelt diese Turnhalle auf der
Bühne der Zürcher Oper (Bühne und Kostüme: Mathis Neidhardt) nicht
frappierend dem Klassenzimmer, in dem Peter Konwitschny seinen "Lohengrin"
an der Hamburgischen Staatsoper ansiedelte? Aber wie seinerzeit ist nach
wenigen Minuten die Skepsis verflogen: Die sich als Großmutter ausgebende
Hexe (sehr markant und scharfzüngig: Liliana Nikiteanu) ist hier nicht im
Wald, sondern züchtet im Laborkittel Cannabis, lässt ein Mädchen - die
Gänsemagd (zunehmend mehr lyrisch aufblühend: Isabel Rey) - nachsitzen und
vergiftetes Brot backen. Jens-Daniel Herzog zeigt dies alles ganz konkret,
auch wie später ein junger Bursch' mit Wanderstiefeln und Rucksack durchs
Fenster klettert und sich Hals über Kopf in das Mädchen verliebt. Jonas
Kaufmann, nicht ohne Grund Publikumsliebling der Zürcher, singt und spielt
den Königssohn in der aufkeimenden Liebe und dem allmählichen Bewußtwerden
seiner Verantwortung für andere Menschen mit einer unwiderstehlichen Mixtur
aus feiner Mozart-Stimme und jugendlich heldischem Tenor ebenso charmant und
forsch wie zärtlich sensibel.
Noch kommen er und seine Gänsemagd nicht zusammen, weil diese der Bann der
Hexe zurückhält, bis sie die Eltern anruft, der Zauber sich löst und sie dem
Königssohn in die Welt nachfolgen kann. Der hat sich im zweiten Akt - nun
ist die Halle Versammlungsort für eine Bürsten-Verkaufsveranstaltung -
unters Volk gemischt, um im Dienst an den künftigen Untertanen in seine
Herrscherrolle zu wachsen. Mit Papierkrone und charakteristisch violettem
Outfit von Burger King sammelt er sogar den Müll auf, um schließlich seine
Gänsemagd wiederzufinden, die Schlag 12 Uhr mit ihrer echten Krone auf dem
Haupt über den roten Teppich hereingeweht wird. Wenn beide an der Rampe
niedersinkend sich umarmen, ist das ein ebenso schönes wie fragiles Bild,
das nicht von Dauer sein kann: Mit Hohn und Spott davongejagt, endet das in
seinem Adel nicht erkannte Paar im dritten Akt in der nun verwüsteten Halle,
in die es hineinschneit.
Die beiden, jeder für sich auf einer Seite der Bühne, die Hände einander
hilflos entgegengereckt, sterben an der Kälte und dem als vermeintlich
letzte Rettung gegessenen Brot, das einst die Hexe mit dem Zauberbann "Wer
es hälften ist, stirbt ganzen Tod" verdarb. Da hebt sich die Rückwand der
Halle und zahllose Kinder schreiten nach vorne. Noch einmal greift der
"seine letzte Melodei" auf der Fidel anstimmende Spielmann (Oliver Widmer
mit noblem, immer kerniger und schöner klingenden Bariton) in das Geschehen
ein und betet mit ihnen: "Fühlt aus dem Tode sie auferstehn/Und leuchtend in
eure Herzen gehen: Die Königskinder! Einsam verhallt der letzte
"Königskinder"-Ruf der Kinder vom Band im Zuschauerraum.
Derart ambivalent und offen endete in Zürich eine großartige Aufführung, die
sich im modernem Gewand zeigt und in den Details der Personenregie ebenso
natürlich wie konkret und genau gearbeitet ist.
Weil Herzog das Kunststück fertig brachte, die Tragik des Königspaars, den
sozialkritischen Aspekt und das Märchenhafte zur Deckung zu bringen, ohne je
die Grenze zum Kitsch zu überschreiten oder den Zeigefinger zu erheben,
äußerte das Zürcher Premierenpublikum einhellige Zustimmung.
Die Begeisterung galt zurecht auch Ingo Metzmacher, der das Orchester der
Oper Zürich anfangs auf einen ganz weichen, samtenen Klang einschwor -
berückend schön die zahlreichen Violin- und Cello-Soli - und erst im zweiten
Akt das Tempo anzog und trockene Bläserakzente setzte. Spannend zu verfolgen
war auch das Bestreben von Dirigent und Sängern, viel von der ursprünglichen
Fassung der Oper aus dem Jahr 1897 als "gebundenes Melodram", also mit
rhythmisiertem Sprechen auf festgelegter Tonhöhe über Orchesterbegleitung,
in der hier gespielten Opernfassung durchschimmern zu lassen. |
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