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Zürichsee-Zeitung, 23.10.2007 |
Werner Pfister |
Humperdinck: "Königskinder", Zürich, Premiere, 21. Oktober 2007
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Lasset die Kinder zu mir kommen
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Opernhaus: Jens-Daniel Herzog
inszeniert Engelbert Humperdincks «Königskinder» |
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Nach fast 100 Jahren erstmals wieder am
Opernhaus: Eine szenisch wie musikalisch eindrückliche Neuinszenierung
stellt die «Königskinder» als Parabel in die Jetztzeit. Es gab frenetischen
Applaus.
Mit der Märchenoper «Hänsel und Gretel» wurde Engelbert Humperdinck über
Nacht weltberühmt, und noch heute ist es die zweitmeistgespielte Oper
überhaupt, ein musikdramatisches Märchen für Kinder, aber nicht nur. 17
Jahre später, 1910, versuchte der Komponist, mit den «Königskindern»
nachzudoppeln - abermals eine Märchenoper, aber nun kein kindergerechtes
Volks-, sondern ein Kunstmärchen und gedacht sozusagen für Kinder, die
mittlerweile erwachsen geworden sind.
Märchenstoffe lagen damals im Trend. Einerseits wollte man damit aus dem
lastenden Schatten von Wagners nordischer Mythenwelt heraustreten,
andererseits sich gegen die neue Zeitströmung des italienischen Verismo
absetzen. Gleichzeitig waren solche Märchendichtungen symptomatisch für eine
künstlerische Gegenposition zur zweckorientiert rationalen
Industriegesellschaft. Den weniger begabten Literaten (und Komponisten) bot
dies noch einmal Gelegenheit zum Rückzug in den rauschenden, raunenden,
deutschen Tannenwald, wo die Welt noch in romantischer Ordnung war, bevor
sie dann im Ersten Weltkrieg umso drastischer kaputt ging.
Kinder und Könige
Die Begabteren hingegen erkannten die (durchaus zeitkonformen)
künstlerischen Möglichkeiten des Kunstmärchens: dass sich in solchen
artifiziell-archaischen Welten, bevölkert mit Typen und Typologien, die
längst unüberblickbar gewordene, vom wissenschaftlichen Fortschritt dem
Menschen entfremdete Lebensrealität noch einmal in überblickbarer Form
abbilden lässt. Hofmannsthal zum Beispiel tat das, künstlerisch erfolgreich,
1895 in seinem «Märchen der 672. Nacht», Gerhart Hauptmann in seinem
deutschen Märchendrama «Die versunkene Glocke» (1896), welches laut
Bühnenanweisung auf «Märchengrund» spielt. Auch Elsa Bernsteins Libretto zu
den «Königskindern» gehört dieser Gattung des Kunstmärchens an.
Allerdings halten sich hier literarische Ambitionen und poetische Höhenflüge
kaum die Waage. Es wimmelt von jugendstilistischen respektive
infantilisierenden Geschraubtheiten, und das im schwer erträglichen, weil
künstlichen Kinderton der Erwachsenen. Da findet sich manches im
Grenzbereich des guten Geschmacks.
Im Wesentlichen basiert Bernsteins Libretto auf Gegensatzpaaren:
verzauberter Wald und kleinbürgerlich-industrielle Verstädterung, staunende,
kindliche Präexistenz und machtgierige, erwachsene Existenz - und beides in
unauflösbarem Konflikt miteinander. Die Utopie, die in den «Königskindern»
zum Schluss (und durchaus berührend) an-klingt, hat unüberhörbar mit dem
Mythos einer neuen Gesellschaft zu tun. Dieser Mythos wird von Kindern
repräsentiert, was unweigerlich an jenen «Kinderkönig» erinnert, der in
Hofmannsthals Trauerspiel «Der Turm» (in der ersten Fassung) am Schluss
verkündet: «Wir haben neue Gesetze gegeben, denn die Gesetze müssen immer
von den Jungen kommen.» Allerdings, hier bleibt es bei der Utopie - kein
märchenhaftes Happy End.
Zeichen und Bedeutungen
Die Frage, wie man das alles heute inszeniert, wie man Hexenhaus und
Tannenwald, Gänsemagd und Königskind (1. Akt), Hellafest und Kinderreigen
(2. Akt), «Tagesholde» und «Nacht-süsse» (3. Akt) auf die Bühne bringen
soll, beantwortet Jens-Daniel Herzog in seiner Neuinszenierung
unmissverständlich: indem man das alles so nicht auf die Bühne bringt,
sondern nach seinem Symbolgehalt, seiner Zeichenhaftigkeit in der damaligen
Zeit fragt und diese Zeichen und Bedeutungen auf einem aktuellen,
jetztzeitigen Hintergrund einsehbar zu machen versucht.
Das gelingt ihm und seinem Ausstatter Mathis Neidhart mit eindrücklichen
Bildern. Der erste Akt spielt in einem Gewächshaus, einer Baumschule
sozusagen als Abbild jener Lebensschule, welcher die junge Gänsemagd bei der
Hexe ausgesetzt ist. Diese wiederum erinnert da und dort an Fräulein Doktor
Mathilde von Zahnd - an jene hexenhafte Irrenärztin, die in Dürrenmatts
«Physikern» alle Fäden in der Hand hat. Der zweite Akt spielt in einer zur
nüchternen Festhalle umdekorierten Turnhalle, und allein wie Jens-Daniel
Herzog hier die Menschenmassen führt (Chor, Jugendchor, Kinderchor,
Statistenverein, Kinderstatisterie), offenbart die Meisterhand des
Regisseurs.
Nahtlos wie vom ersten ins zweite geht es auch ins dritte Bild: derselbe
Raum, aber nun zu einem «no place» vergammelt, niemandes Ort, wo es auch den
Zuschauer friert. Dass Humperdinck gerade zu diesem Akt seine «wärmste»,
intensivste Musik geschrieben hat, kann kein Zufall sein. Anklänge an
Wagners «Parsifal» und den dritten «Tristan»-Akt sind nicht zu überhören und
entfalten dennoch eine eigenständige Suggestivkraft: Sehnsucht nach
Erlösung, die visionäre Utopie eines Jenseitigen klingt an, und es bleibt
zuletzt den Kindern vorbehalten, davon singend (und über Lautsprecher im
Opernhaus weithin hallend) Zeugnis zu geben. Ein grosser Schluss.
Ein Debüt für alle
Eine grosse Aufführung. Und für alle Beteiligten ein Rollendebüt. Jonas
Kaufmann ist mit seiner jünglingshaften Lockenpracht der Inbegriff eines
Königssohns. Strahlend bei Stimme, heldisch im Klang und gleichzeitig, im
Ungang mit seiner Gänsemagd, knabengleich schwärmerisch verträumt - das kann
man sich adäquater gar nicht vorstellen. Isabel Rey spielt die Gänsemagd
mit mädchenhafter Schwerelosigkeit; dennoch gelingt es ihr nicht immer, die
hörbaren Risse in ihrem Timbre und gewisse Steifheiten in ihrem Gesang
gleichsam zu überspielen. Oliver Widmer ruht als Spielmann mit sonorem
Bariton ganz in sich selbst; Liliana Nikiteanu ist in ihrer weissen
Ärztinnen-Kleidschürze eine Hexe zum Fürchtenlernen; ihr entschieden
energischer Mezzosopran duldet jedenfalls keinerlei Widersprüche. Ebenso
überzeugend in kleineren Partien Reinhard Mayr (Holzhacker), Volker Vogel
(Besenbinder) und Marie-Thérèse Albert (dessen Töchterchen).
Am Pult steht, zum ersten Mal am Zürcher Opernhaus, Ingo Metzmacher. Mit
sicherer Hand, als wäre es das leichterdings Selbstverständlichste, lässt er
den ganz eigenen Zauber dieser spätromantischen Musik aufleuchten, die
gleichsam durch alle Partituren Richard Wagners mäandriert und übrigens sehr
vielfältig «von deutscher Seele» kündet. Er rückt sie damit ins beste Licht.
Was für ein Klang, welch bewegender, sensibel durchleuchteter melodischer
Fluss. Sicher sind da auch Längen drin; aber in ihren besten Momenten hat
Humperdincks Musik etwas durchaus Suggestives. Frenetischer Applaus zum
Schluss, als möchte man eine Rehabilitierung der «Königskinder» beklatschen.
Diese Neuinszenierung hat das Zeug dazu. |
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