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Tages-Anzeiger, 23.10.2007 |
Susanne Kübler |
Humperdinck: "Königskinder", Zürich, Premiere, 21. Oktober 2007
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Gesucht wird: Ein König. Oder auch nicht
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Der Dirigent Ingo Metzmacher
gibt mit Humperdincks rarer Märchenoper «Königskinder» einen starken
Einstand am Zürcher Opernhaus. |
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Wahlsonntag, auch auf der Zürcher Opernbühne.
Festzeltbänke werden aufgestellt, der lokale Fastfood-Lieferant macht sich
bereit fürs grosse Geschäft, das Publikum drängelt, und auf dem Podium
reissen Demagogen den rhetorisch spröderen Verfechtern hoher Werte das
Mikrofon aus der Hand. Nicht um eine Parlamentswahl geht es hier allerdings,
nein: Ein König wird gesucht in Hellabrunn. Und anders als in der Schweizer
Politik wird der Erkorene nach der Wahl nicht vor die TV-Kameras gebeten,
sondern davongejagt - weil er beziehungsweise sie den ganz auf
Bequemlichkeit und Eigennutz ausgerichteten Erwartungen der Bevölkerung eben
doch nicht entspricht.
Spätestens in diesem zweiten Akt ist klar, dass Engelbert Humperdincks 1910
uraufgeführtes Stück entgegen seinem Untertitel eben doch keine Märchenoper
ist. Die «Königskinder» sind kein «Hänsel und Gretel zwei», obwohl auch hier
eine Hexe ihr böses Spiel treibt und der Komponist nach seinem grimmschen
Grosserfolg noch einmal ein (beinahe) kindliches Paar ins Zentrum stellt -
und mit ihm dutzendweise Märchenmotive.
Alles ist da, der zerrissenen Kranz, die zerbrochene Krone, das giftige
Brot, die Gänsemagd als Königin, der Königssohn als Schweinehirt. Aber es
fügt sich nicht zur zeitlosen Parabel, sondern eher zu einer «artifiziellen
Collage aus Märchenmotiven», wie Regisseur Jens-Daniel Herzog im
Programmheft schreibt. Und zu einer Geschichte mit ziemlich konkretem
Realitätsbezug: Das Hochjubeln und Niederschreien, das Verjagen und
Verkaufen kommt einem bekannt vor. Und auch der Schluss will einem gar nicht
märchenhaft erscheinen: «Verdorben, gestorben» sind die Königskinder, so
formuliert es der blinde Spielmann, getötet von jenem giftigen Brot, das die
Gänsemagd einst für die Hexe backen musste. Es bleibt der Ruf der Kinder
nach dem verlorenen Königspaar, das so in einer eher zwiespältigen Utopie
erst tot zum Heilsbringer werden kann.
Nicht nur Wagners Tricks
Ein seltsames Stück, diese «Königskinder». Ein unterschätztes, wie Dirigent
Ingo Metzmacher zu Recht meint. Das heisst hier nicht: eines ohne Schwächen.
Die Musik hat ihre Längen (das Sterben der Königskinder etwa erreicht schon
fast tristansche Dimensionen), und das Libretto von Elsa Bernstein streift
die unfreiwillige Komik in oft plumpen Reimen ebenso wie in wagnerschen
Wortschöpfungen («Wie leicht und keck kühnte mein Fuss»). Am stärksten ist
das Werk dort, wo es sich löst von Wagner, bei dem Humperdinck in Bayreuth
assistiert hatte und den über ihren Vater auch Elsa Bernstein kannte und
verehrte.
Natürlich bediente Humperdinck sich der Tricks seines Meisters, mit
harmonischen Trübungen und dramatischem Aufwallen im Orchestergraben; aber
sein Ton ist gerade in dieser düsteren Geschichte auffallend hell und
transparent. Geschickt mischt er Spätromantisches und Volksliedhaftes,
eisige Klangflächen breiten sich aus, Chor und Kinderchor sorgen für
effektvolle Massenszenen, und dass die erste Version der «Königskinder» ein
Melodram war, bei dem die Texte zu Orchesterbegleitung rezitiert wurden, ist
in der häufigen Nähe zum Sprechgesang auch in der Opernfassung noch hörbar.
Viel steckt drin in dieser Musik, überladen wirkt sie dennoch nicht. Damit
lohnt sich eine Ausgrabung des Stücks allemal - wenn sie so engagiert
angegangen wird wie nun in Zürich. Metzmacher tut alles, um dem Publikum die
Attraktivität der Partitur nahe zu bringen: Klangvoll und genau lässt er das
Orchester der Oper spielen, die vielen Soli erhalten Zeit, auch der
dramatische Zug ist da. Und wenn die Klangwogen die Stimmen einmal
wegzuschwemmen drohen, weiss er sie jeweils sehr rasch wieder zu bändigen.
Auch Jens-Daniel Herzog und sein Ausstatter Mathis Neidhardt sind mit Herz
und Kopf bei der Sache. Sie zeigen, was der Text verlangt, in märchenhaften
Bildern, aber ohne Süssmittel. Die Papier-Gänse etwa unterstreichen erst
recht, was die Abgeschlossenheit bedeutet, in der die Hexe die Gänsemagd
während Jahren hält. Auch später, in der so genannten Freiheit, entkommt das
Mädchen dem Hexenraum nicht. Mit Zwischenwänden wird er zwar mal grösser,
mal kleiner, aber er bleibt sich ganz im Einklang mit der Psychologie des
Stücks gleich: kahle Wände, schäbiges Lavabo, blaue Tür. Ein Unort, in dem
es, Dach hin oder her, auch mal schneien kann.
Zunehmend starverdächtiger Tenor
Isabel Rey als Gänsemagd findet hier das Glück und den Tod und eine Partie,
die wie geschaffen scheint für sie und ihren schillernden Sopran, der im
romantischen Ausbruch ebenso trägt wie in der schlichten Beschwörung («Der
Tod kann nicht kommen»). Auch Jonas Kaufmann als Königssohn hat mehr als
seinen starken, warmen, zunehmend starverdächtigen Tenor zu bieten: eine
Bühnenpräsenz, die sich bei weitem nicht im Naturburschenhaften erschöpft,
das er hier einmal mehr zelebrieren darf.
Prägnante Porträts liefern auch Oliver Widmer als erst luscher, dann
geläuterter Spielmann, Liliana Nikiteanu als lustvoll keifende Hexe und in
kleineren Rollen viele weitere Sängerinnen und Sänger, die hier nur deshalb
pauschal gelobt werden, weil auch die von Ernst Raffelsberger betreuten,
sängerisch wie darstellerisch souveränen Chöre erwähnt werden sollen.
So war es eine schöne, umjubelte Premiere. Und, wenn etwas dran ist an den
Gerüchten, nach denen Metzmacher im Gespräch sei für die Nachfolge von Franz
Welser-Möst am Zürcher Opernhaus, auch eine ermutigende: Einen
Chefdirigenten mit derart klaren künstlerischen Vorstellungen könnte das
Haus gut gebrauchen. |
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