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Berliner Morgenpost, 14.
Januar 2006 |
Von Klaus Geitel |
Mahler: "Das Lied von der Erde", Berlin,
12. Januar 2006
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Stille Wanderung
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Als eine erste Kostprobe mag
man die Konzerte von Lothar Zagrosek, einem Spezialisten für die Moderne,
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Als eine erste Kostprobe mag man die Konzerte
von Lothar Zagrosek, einem Spezialisten für die Moderne, verstehen. Er tritt
im Sommer sein Amt als BSO-Chefdirigent und stellvertretender Intendant des
Konzerthauses an.
Soviel Abschied war selten. Und noch dazu ausgerechnet zum Anfang eines
Neubeginns. Lothar Zagrosek, der herzlich willkommene künftige Leiter des
Berliner Sinfonie-Orchesters (BSO) als Nachfolger von Eliahu Inbal, tritt
mit Beginn der neuen Saison, sein Amt als Chefdirigent an.
Jetzt aber ließ er im Konzerthaus am Gendarmenmarkt ausgiebig Adieu sagen.
Er brachte "Herbst Wanderer" von Toshio Hosokawa als Auftragskomposition des
Konzerthauses zur Uraufführung und stimmte anschließend Gustav Mahlers "Lied
von der Erde" an, in dem die wundervolle Petra Lang in schier
unüberbietbarer Herrlichkeit von Abschied sang. Es wurde ein Abschied,
allein schon durch den Anzug der Sängerin, ganz in Weiß. Roy Black hätte
seine Freude gehabt.
Hosokawa (50) hat in Berlin bei Isang Yun Komposition studiert. Er ist
Mitglied der Akademie der Künste. Er hält in naher Zukunft seinen Einzug ins
Wissenschaftskolleg. Seine Kunst ist weltläufig, dabei aber unverwechselbar
japanisch. Für seine musikalische Herbst-Wanderung bedient er sich eines
zweigeteilten Streichorchesters und setzt zwischen die beiden Gruppen drei
Solisten: das Trio Accanto, in der ungewöhnlichen Besetzung Saxophon (Marcus
Weiss), Klavier (Yukiko Sugawara), Schlagzeug (Christian Dierstein). Die
zwanzig Minuten der musikalischen Wanderung vergehen zauberisch: wie im
Schleichflug.
Instrumentaldämmer klingt auf. Wie auf Zehenspitzen führen sich Schlagwerk
und Sopran-Saxophon ein. Langsam, ganz langsam baut sich Atmosphäre auf, und
es gelingt Hosakawa sie bis zum Schluß stimmungsvoll durchzuhalten. Der Mann
versteht sein kompositorisches Handwerk: Er hat keine Angst vor dem
scheinbaren Stillstand, den Zagrosek überdies mit kundiger Hand aufs
reizvollste Klang werden läßt. Dezenz überwiegt, es herrscht kunstvoll
auskomponierte Stille.
Behutsamkeit liegt in der Luft. Sie knistert, gewinnt sich Spannung. Es
entrollt sich ein Werk voll kostbarer Zerbrechlichkeiten, nicht gerade
geschaffen für die Hustensaison. Aber es zwingt sogar das Gekrächze nieder
und macht es weitgehend verstummen, so daß selbst die Kadenzen für Saxophon
und Klavier sich überraschend ungestört aussingen konnten.
Mahlers Lieder-Sinfonie schwingt sich da schon zu ganz anderem
Klangvolumen auf, das indessen den tapferen Jonas Kaufmann nicht zittern
machte. Sein schlanker Tenor besitzt Elan und Durchsetzungskraft. Kaufmann
sang sich unverstört durch die heftigsten instrumentalen Aufgipfelungen: ein
schmaler Singathlet von reichem Ausdrucksvermögen. Wechselnd mit Petra
Lang gab er Mahlers Werk den nötigen tiefsinnigen Luxus, um den sich
gleichzeitig Zagrosek mit seinem Orchester mühte. Es geht unter seiner
Leitung deutlich herausfordernden Zeiten entgegen. Mahlers Lieder-Sinfonie
erwies sich dafür als ein rechtes Trainingslager. |
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