weltexpress, 23.05. 2006
Claudia Schulmerich
Die verkaufte Braut, Frankfurt, Premiere vom 21. Mai 2006
Oper Frankfurt bringt Smetanas „Verkaufte Braut“ im Irgendwo
Wie viele gute Ideen kein Ganzes ergeben und der Besuch sich trotzdem lohnt
Sagen wir es gleich: Natürlich sollen Sie in diese Opernaufführung gehen. Sie hören wunderbare Stimmen, sie sehen ein – auf der Opernbühne eher selten – anmutiges und neckisch verliebtes Paar, Sie hören einen warmen Orchesterton, der die Sänger stützt und nicht tot musiziert. Sie erleben eine Vielzahl von klugen Regieeinfällen, witzig inszenierte Typen und das Gegenüber von dumpf sich äußerndem Dorfleben und der Weltläufigkeit, die der hereinbrechende Zirkus verspricht.

Was Sie nicht erleben, ist das Fluidum, was die „Verkaufte Braut“ zur tschechischen Nationaloper „Prodaná nevesta“gemacht hat und zum Symbol für eine Volksoper. Was ist das, was wäre das? Das wäre die Vielfalt von Menschen auf engem Raum, sich haltend und festhaltend an ihren Gewohnheiten und somit das Engstirnige auf der einen Seite und das wäre die Kraft der Liebe, die in Verbindung mit einem klugen Köpfchen die in sich festgezurrten Dorfbewohner überwindet und Auswege schafft, wo bleiern die Schicksalsentscheidungen von oben gefallen sind, auf der anderen. Sie erleben nicht die Widersprüche, wie Folklore, wie Tänze, wie Trachten einerseits Heimat schaffen – gute Gefühle – und gleichzeitig Atemnot bescherende Enge herstellen – schlechte Gefühle.

Inhaltlich ist dies die Kernaussage dieser Oper, die durch das Liebespaar Hans und Marie verkörpert werden. Hans ist der Stiefbruder von Wenzel – es weiß nur keiner, daß auch er des reichen Michas Sohn ist, den einst die neue Stiefmutter aus dem Hause trieb, die nun auch ihren eigenen Sohn Wenzel tyrannisiert, was dieser mit Stottern beantwortet. Psychologie wie aus dem Bilderbuch, der stotternde und überforderte Einzelgänger, dem sichtlich die Sympathie des norwegischen Regisseurs Stein Winge gilt. Marie soll Wenzel heiraten, so haben es die Eltern mit dem Heiratsvermittler, der seine Provision erhält, abgemacht. Maria will den Hans, doch dieser hat im Heiratsvertrag festschreiben können, daß Maria Wenzels Sohn heiraten musst, lässt sich daraufhin noch kräftig Geld dafür geben, „Leine zu ziehen“, was Maria erschüttert und was sich erst im Glück aller auflöst, als Hans sich als erstgeborener Sohn des Micha zu erkennen gibt. Wenzel ist so froh, die Braut los zu sein, wie die beiden, einander zu gehören. Ende gut, alles gut.

Inhaltlich wird diese Kernaussage nicht in der Inszenierung und das hieße im Bewegungsspiel dieses komischen Singspiels in drei Akten deutlich, sondern von Anfang an vom Bühnenbild wie mit dem Holzhammer erschlagen. Das fängt schon während der zügig, lyrisch und dramatisch dirigierten Ouvertüre an. Die Bühne ist mit einer Fliesenwand abgeschlossen, die auf der Spitze stehende Vierecke in blauem Rapportmuster - innen mit vier Herzchen - zeigt, blaues Muster auf weißem Kachelgrund, die als Abschluß oben eine Stilisierung aufweisen, wie sie seit dem Biedermeier über den Jugendstil gängiges Küchenambiente war. Davor eine Putzfrau, die die sauberen Fliesen auf Hochglanz poliert, was zunehmend nervt, wenn jede musikalische Volte zum entsprechenden rhythmisierten Bewegungsablauf führt und – Holzhammer, Holzhammer - am Schluß durch das Putzen eine Kachel bläulich verfärbt wird – oder war sie das schon vorher und wurde durch’s Putzen nur nicht rein?

Der Holzhammer schlägt erst recht zu, wenn sich die Bühne öffnet und das Dorf, das wir erwarten dürfen, aus einer Holzkonstruktion besteht, die für vieles stehen kann, tatsächlich erst einmal ein schneckenförmig gerolltes Holzgerippe ist, das sowohl für Fachwerkbau (Dorf!) steht wie auch dafür, daß es keine abgeschlossenen Räume gibt, alles also durchsichtig und einsichtig ist, wie auch dafür, daß das „Fleisch“ dem Ganzen fehlt, denn eine offene Struktur besitzt keinen Halt und Leben auch nicht. Wie sehr diese Holzkonstruktion tatsächlich obige Kernaussage verkörpern soll, entrollt sich während der Akte, wo sich die Holzspirale Akt für Akt enger zusammenzieht und am Schluß die Bühne ungehindert menschlichen Aktionen öffnet.

Warum das so wichtig ist, erschließt sich aus dem, wozu dieses riesige Holzgerüst die Akteure zwingt. Sie kommen aus dem Nirgendwo und entfleuchen ins Irgendwo. Denn über eine Treppe von unten (was ist das bloß für ein Keller?) steigen die Dörfler ins Gerüst, verbergen sich, spielen Katz und Maus, es ist ein ständiges Kommen und Gehen, ewige Bewegung, ohne daß dies zu einem Ziel führt. Schließlich sind Dorfbewohner, wenn sie des Abends ihr Bier trinken zumindest motorisch gemütlich und ihre Frauen, die als Putzkommando durch die Gegend, nein durch die Holzstreben stürmen, was soll das, wenn nicht – Holzhammer! – aufzeigen, daß dieser Ort kein gemütlicher ist und Frauen als Putzteufel lieber mal Freud lesen sollten, auch wenn der zum Uraufführungszeitpunkt 1866 gerade mal zehn Jahre alt war, war doch der noch unbenannte Begriff des Analen als Ausdruck der Abwehr von Lust und Sinnlichkeit längst Allgemeingut im menschlichen Kosmos – und ist es ganz sicher zumindest heute, weshalb diese ganze Küchenpsychologie einfach zu derb, zu oberflächlich, eben holzhammerhaft auftritt. Strafverschärfend wird das Bühnenbild mit der Holzkonstruktion dann auch noch von einer dreiseitigen Fliesenwand eingeschlossen, die das identische blau-weiße Muster aufzeigt.

Damit enthebt sich die Inszenierung ihres eigentlichen Zentrums. Zu zeigen wäre, wie in angeblicher Gemütlichkeit das Ungemütliche haust, wie im folkloristisches Dorftreiben die unbarmherzigen Marktgesetze gelten und der Mensch als Ware verkauft wird. Wenn aber das Ungemütliche schon so deutlich sichtbar im stilisierten Dorf herausgestellt wird, wo bleibt der Schrecken, der die Voraussetzung dafür ist, daß der Ausgang – es wird alles gut! – als psychische Entlastung vom Publikum an sich selbst wahrgenommen werden kann?

Hoffentlich ist diesen ernsten Sätzen anzumerken, wie viel besser eine total leere Bühne alles das zum Leuchten hätte bringen können, was diese Inszenierung und ihre Sänger auszeichnet und weshalb es absolut konsequent ist, bei allen Abstrichen, diese Aufführung weiter zu empfehlen. Die psychologische Personenführung ist hervorragend, jede der Figuren verkörpert echte Menschen, mal etwas aufgesetzt, was aber passt, handelt es sich doch um ein „komisches“ Singspiel. Besonders gut hat das als Kecal der Heiratsvermittler Gregory Frank hinbekommen, über den man aus vollem Herzen lachen kann, an seiner Zurichtung durch frisur und Anzug man seine helle Freude hat und über dessen Gesang man sich freut. Carsten Süß hat als Tölpel Wenzel die Sympathien der Zuschauer auf seiner Seite, weil er seine Einsamkeit inmitten von so viel Leuten deutlich aussingt und weil er den das Dorf aufbrechenden Zirkus als Mittel nimmt, sein Leben zu ändern und mitzuziehen. Zirkus als Metapher für Freiheit, warum nicht; die Erfahrung, wie armselig es der fahrenden Zunft gehen kann, spielt in einer anderen Oper.

Zentrum der Aufführung sind der gelenkige Hans des Jonas Kaufmann, der so wirkt, als ob er jeden Tag in diesem Dorf unterwegs ist und auf den Holzgerüsten und Tischen und Bänken herumklettert und als ob er schon mit einem Triller auf den Lippen erwacht. „Cool“ sei der, sagte danach eine jugendliche Gruppe und daß er mit Recht die Maria bekommt. Die nun wiederum, besser ihre Protagonistin Maria Fontosh, ist Kern der Aufführung. Sie singt so inniglich, so schön, mit dunkler Färbung hell wie eine Lerche. Die Stimme dieser kleinen Person füllt das ganze Haus und macht einem jede ihrer Gefühlsregungen als Maria deutlich. Sie ist es, weshalb diese Verkaufte Braut ein glückliches Ende findet und man wieder einmal mehr bewundern kann, wie Musik Gefühlswelten aufschließt und wozu Oper gut ist.

Das ganze Ensemble singt und spielt auf sehr gutem Niveau und Dirigent Roland Böer bringt das Tschechische in diese deutsch gesungene Oper mit dem Frankfurter Opernorchester ein.
Foto: Monika Rittershaus






 
 
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