Opernwelt, April 2005
Horst Koegler
Monteverdi: L'Incoronazione di Poppea, Zürich, Februar 2005
Reich der Sinne
Vor rund einer Generation sind Jean-Pierre Ponnelle und Nikolaus Harnoncourt von Zürich aus auf den Planeten Monteverdi gestartet. «Poppea» war damals eine Sache üppigen Barocks. Jetzt ist Harnoncourt — mit einer Zwischenstation in Salzburg 1993, bei der er sich mit Jürgen Flimm als Partner verbündete — mit «Poppea» an die Limmat zurückgekehrt. Diesmal zeigt die Bühne eine sehr heutige Stadt, deren coole zweistöckige Nobelvilla Annette Murschetz erbaut und auf ein Rotationsplateau platziert hat, mit fließenden Übergängen zwischen den einzelnen Räumlichkeiten. Auch wenn die Mode gewechselt hat (gefertigt von Heide Kastler in einer der schicken Boutiquen an der Bahnhofstraße) — die Gesellschaft ist sich absolut gleich geblieben: eine total depravierte hedonistische Spaßgesellschaft, die ihren jeweiligen Lüsten und Obsessionen frönt. Mit bestem Gewissen übrigens, weiß sie sich doch als ohnmächtiger Spielball der Götter, von denen Amor gleich im Prolog seinen beiden Kolleginnen Fortuna und Virtù klar macht, wer hier das Sagen hat.

Gleich geblieben ist auch der ganz aus der musikalischen Sprachdeklamation generierte Klangduktus der Produktion, der die Gesangslinien aus der deklamatorischen Rhetorik der lnstrumentalstimmen hervorgehen und wieder in sie einmünden lässt: die fließende Partnerschaft zwischen Instrumenten und rezitatorischen Kantilenen der Sänger, zugespitzt und auf den Punkt gebracht von Harnoncourt. Mit dem brillant aufgelegten Orchestra «La Scintilla» des Opernhauses Zürich und einem hochkarätigen Solistenensemble auf der Bühne erzielt er so einen dialogischen Konversationston, der aus dem Parlando kommt, aber auch, wo nötig, den hochdramatischen Affekt nicht scheut und sich immer wieder besinnliche Atempausen gönnt. Zustande kommt so eine faszinierende Textdeutlichkeit und –verständlichkeit, die vollkommen natürlich wirkt. Dabei pflegt die Aufführung eine hochdifferenzierte Piano-Kultur.

Sie kann es sich leisten, weil sie über eine exquisite Sängerequipe verfügt, die sogar die bedauerliche Absage Vesselina Kasarovas weitgehend zu kompensieren vermochte, mit Juanita Lascarro als einer Poppea, die sich ganz im Sinne der sensualistischen Inszenierung von einer Straßendirne zu einer wahren Kaiserin des Eros wandelt. Man müsste sie alle nennen, die so fabelhaft aufeinander abgestimmten Sängerdarsteller dieses Ensembles; Jonas Kaufmann als smarter Lüstling Nero, Francesca Provvisionato als racheentschlossene Kaiserin Ottavia, Franco Fagioli als nicht zuletzt durch die Stimmlage des Countertenors sich zu erkennen gebender wankelmütiger Ottone, Laszló Polgár als moralisierender Seneca, Sandra Trattnigg als bis über beide Ohren in die Liebe verliebte Drusilla, Jean-Paul Fouchécourt als skurril transvestivische Arnalta, der umwerfend kumpelhafte Rudolf Schasching als Lucano und viele andere.

Dies ist unzweifelhaft die sinnlich-erotischste, musikalisch verführerischste der achtzehn Produktionen von Monteverdis «L‘incoronazione di Poppea», die ich seit meiner Erstbegegnung mit dieser Oper 1953 im Rahmen der Berliner Festwochen (Dirigent: Mathieu Lange, Inszenierung: Ludwig Berger) erlebt habe.






 
 
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