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Salzburger Nachrichten,
29.07.2003 |
KARL HARB |
Die Entführung aus dem Serail, Salzburg 2003
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Mozart hat hier keine Chance
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Die Entführung aus dem Serail"
ist gewöhnlich ein Singspiel. In der Festspiel-Neuinszenierung von Stefan
Herheim kommt es anders, als man denkt. |
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Die Neuinszenierung von Mozarts "Entführung aus dem Serail", die am
Sonntag im Kleinen Festspielhaus die mit Spannung erwartete erste
Festspiel-Opernpremiere dieses Sommers war, hat eines ganz bestimmt nicht:
orientalisches Kolorit. Das kann man noch verschmerzen. Noch etwas hat sie
nicht, und das biegt die Sache schon ziemlich in eine neue Richtung: eine
mit einem Schauspieler buch- und partiturgerecht besetzte Rolle des Bassa
Selim. Der Aufklä-rer und große Verzeiher hat ausgedient, seine Sätze
können von jedem gesprochen werden. Er ist in allen. Je länger, je mehr
ist das ziemlicher Humbug.
Am fremdesten ist der Mensch sich selbst
Darüber hinaus stellt die Aufführung eine gewiss nicht unintelligente,
simple Behauptung auf: Das Fremde liegt nicht in weiter Ferne - also in
welchem Serail auch immer -, sondern um die Hausecke - also in einem
bürgerlichen Wohnzimmer. Noch näher: Am fremdesten ist jeder Mensch sich
selbst. Deswegen gerät, wenn es um Liebe und Treue, um Leben und Tod geht,
diese Welt aus den Fugen.
Gottfried Pilz, der Ausstatter, hat dafür einen schlichten "Wohnkasten"
gebaut. Aber auf zwei drehbaren Zylindern werden seine Wände lebendig,
verschieben und verdrehen sich auf höchst raffinierte Art, dass man oft
nicht mehr weiß, wo innen und wo außen ist. Zur Steigerung dieses Effekts
ließen sich die Szeniker der Salzburger Neuinszenierung noch
"raumsprengende" Videofilme anfertigen ("fett-Film"), die das Spiel der
Illusionen weiter auf die Spitze treiben. Man bewundert wieder einmal, wie
kompliziert ein Bühnenbild heute funktionieren kann. Und bestaunt
überraschende, völlig unkonventionelle Ergebnisse.
Der Raum also spielt alle Stücke der Verwirrungen und Verirrungen. Und
Stefan Herheim, der 33-jährige, aus Oslo stammende Regisseur, mit dem eine
neue Generation von Szenikern in Salzburg Einzug halten soll, bedient die
Maschinerie rein handwerklich mit verblüffender Souveränität.
Aber die Maschinerie läuft selbstverliebt leer. Was anfangs, durchaus
sogar bis zur Pause mitten im herkömmlichen 2. Akt, manchen Sinn und -
schon nach bescheideneren Maßen - Spaß macht, wird immer mehr zum
lähmenden Selbstzweck.
Denn wo kein Serail, da natürlich auch keine wirkliche Entführung. Also
fliegen Konstanze und Belmonte lediglich per Filmtrick auf einem
fliegenden Teppich davon und landen - in der (Klein-)-Bürgerwelt vor
Salzburg-Panorama. Dieses hat eine Art Heinzelmännchen-Putztrupp in weißen
Overalls (der Firma "Klaas"; Kenner wissen, dass der Schiffer, der die
Paare aus dem Serail entführt - bei Mozart, wohlgemerkt - auf diesen Namen
hört) picobello auf Vordermann gebracht. Die Entführung ist gewissermaßen
virtuell: Indem die beiden Paare, Konstanze und Belmonte, Blonde und
Pedrillo, auf je unterschiedliche Art zu sich kommen. Da sie sich aber -
siehe oben - selbst fremd sind, können sie nichts mit sich anfangen.
Zwei Seelen wohnen in Osmins Brust
Ratlos, wie's zu Ende gehen soll, ist da auch Osmin - in dessen Brust die
sprichwörtlichen zwei Seelen wohnen: die finsterböse voll Gift und Dolch
und die Bassagute. Osmin bringt die Menschen-Marionetten (und ihre vielen,
vielen Brautkleid-Frack-Doubles in einem permanent beschäftigten
"Bewegungschor") schlussendlich irgendwie doch zusammen - aber
interessiert das noch wen? Von Mozart hat sich die Aufführung ohnehin
schon längst verabschiedet. Mozart hat hier keine Chance.
Sie wird ihm durch die schiere Bilderflut verweigert und verstellt. Stefan
Herheim fällt enorm viel ein. Er erweist sich damit als braver Vertreter
der Generation Zapp. Also sieht man einmal eine Standup Comedy, dann eine
Soap Opera, dann wieder ein kleines Psychodrama, dann ein Splattermovie
mit Horrortouch, dann einen Slapstick und zuletzt eben - Firma Klaas -
einen ziemlich infantilen Show- Joke. Da ich mich bisher sehr
leidenschaftlich mit Theater und Oper und wenig mit (Kabel- oder
Schüssel-)Fernsehen befasst habe, muss ich den geneigten Leser um
Verzeihung bitten, wenn ich allfällige Zitate nicht den entsprechenden
Sendestationen zuordnen kann . . .
Egal: Man sieht (zu) viel. Eines - und das mag jetzt altmodisch und
verzopft und in den Ohren der neuen Generation heillos vorgestrig klingen
- sieht man aber so wenig wie den leibhaftigen Bassa: Mozarts Menschen.
Ich bedaure Iride Martinez (Konstanze) und Jonas Kaufmann (Belmonte),
Diana Damrau (Blonde) und Dietmar Kerschbaum (Pedrillo) und auch den
Draht- und Fädenzieher Peter Rose (Osmin u. a.), dass sie sich weit mehr
szenische Einfälle von Stefan Herheim als Noten von Wolfgang Amadeus
Mozart merken müssen - und dies schier selbstvergessen tun. Sie haben
allesamt schöne, ein bisschen kleine, aber akkurate Stimmen; sie alle
spielen und sprechen (zunehmend abwegigere Texte) mit unglaublicher
Hingabe.
Mozarts Musik: eine Art Beiwerk zu Bildern
Sie glauben wahrscheinlich alle an Mozart - aber ihm wird an diesem
zunehmend deprimierenden Abend wirklich keine Chance gelassen.
Das Mitgefühl hat auch das Mozarteum Orchester. Zum zweiten Mal - nach der
legendären "Fledermaus"-Katastrophe - muss es bei den Salzburger
Festspielen an einem Musiktheaterabend mitwirken, an dem die Musik genau
genommen nur Beiwerk ist. Ivor Bolton, der geschätzte designierte
Chefdirigent, versucht es extra dry. Atmosphäre kommt dabei keine auf.
Herztöne sind nicht gefragt. Aufs Lyrische (in den Arien der Konstanze, im
Quartett oder im "Todes"-Schlussduett von Konstanze und Belmonte) versteht
sich diese Interpretation kaum. Dafür sind manche Striche geöffnet.
Der Kern des Werks bleibt unberührt kalt
Vom Unmut des Premierenpublikums blieb der musikalische Leiter nicht
ungeschoren. Massiv traf es erwartungsgemäß das Regieteam, doch blieben
die Beifallstemperaturen nach mehr als dreieinhalb Stunden insgesamt eher
erschöpft gedämpft.
Fremd bleibt diese "Entführung aus dem Serail" sich selbst. Sie bedient
auf letzlich ärgerlich oberflächliche Art die Bildersucht unserer Tage.
Ihr Kern aber ist hart und kalt. Die zeitlose Aktualität von Mozarts
vielschichtiger, das Singspiel so kühn sprengender Seelen-Musik hat sich
verflüchtigt - auf einem fliegenden Teppich vielleicht, weit weg von hier.
Ein Horror, zu denken, dass sie bis zum Mozartjahr 2006 womöglich gar
nicht mehr zurückkommt . . . |
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