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Merkur, 29.07.2003 |
VON GABRIELE LUSTER |
Die Entführung aus dem Serail, Salzburg 2003
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Panik vor der Hochzeit
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Salzburg: Stefan Herheim
inszenierte "Die Entführung aus dem Serail" |
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Quietschendes
Kinderlachen noch vor dem ersten Ton lockt auf den falschen Pfad. Denn wer
am Sonntagabend im Salzburger Kleinen Festspielhaus ein harmloses Vergnügen
erwartete, dem gingen rasch die Augen auf: Salzburgs neue "Entführung aus
dem Serail" ist ein wahrer Albtraum. Stefan Herheim, der 30-jährige
Norweger, liest Mozarts deutsches Singspiel von 1782 bereits wie eine Studie
zur späteren "Così fan tutte", die der junge Regisseur schon dreimal
inszeniert hat.
Herheim - bei der Münchener Biennale zuletzt mit "Marlowe: Der Jude von
Malta" hervorgetreten - fegt forsch durch die lasche
Bretzner/Stephanie-Story und vermittelt dabei den Eindruck, dass das Mozart
gar nicht unrecht gewesen wäre. "Hier soll ich dich denn sehen", so beginnt
Belmonte das Stück und liefert Herheim das Stichwort: Hier und jetzt - unter
einem Rudel junger Leute in Brautkleid und Frack in einer noch leeren
Wohnung - spielen sich die Szenen vor der Ehe ab.
Turbulent und verrückt, heiter und qualvoll mischen sich Hoffnungen und
Befürchtungen, kleine Seligkeiten und große Ängste, wirbeln die Figuren
durcheinander, dass keiner mehr weiß, wer er wirklich ist. Der Bassa Selim
spukt gar nur noch als Kopfgeburt durch die Hirne der fünf singenden
Protagonisten. Frappierend, wie das funktioniert, weil alle ein bisschen
Bassa sind. Das Türkische (zu Mozarts Zeiten Mode) hat ausgedient; edle
Aufklärung muss im eigenen Kopf stattfinden. Belmontes bange Frage "Täuscht
mich die Liebe, war es ein Traum?" - wird zur existenziellen Erschütterung,
die verwirrende Träume gebiert: Konstanze als Mutter - schwanger, mit Baby,
mit Kind. Männertraumata vor der Hochzeit. Der Janitscharenchor wird zum
Polterabend unter Junggesellen, und Pedrillo spricht des Bassas Text in
Karl-Moik-Manier durchs Mikrofon.
Ganz nah an der Realität rangiert auch Herheims Geschenkeliste. Aus den sich
türmenden Paketen packen die halb angezogenen Bräute das Lebenswichtige aus:
Waschmaschine, Mixer, Herd, Bügeleisen, derweil Blonde von dem singt, was
Frauen wirklich brauchen: "Zärtlichkeit und Schmeicheln", und Osmin mit dem
Bügeleisen die Finger verbrennt. Stimmig auch, wenn Braut Konstanze bei
Braut Blonde Trost und Sicherheit sucht, wenn die Mädels alle
Schreckensvisionen (der Marternarie) durchspielen und Blonde den
gewalttätigen Bassa mimt. Regisseur Herheim vertraut auf die zündende Kraft
seiner Fantasie und bremst seine Assoziationslust nie. Was problematisch
ist.
Denn unter seinen sprudelnden Einfällen säuft die Musik ab. Zumal er die
Dialoge zwischen den 21 musikalischen Nummern verquasselt aufplustert und
damit das Gleichgewicht sausen lässt. Dennoch bis zur Pause - wenn Pedrillo
mitten im zweiten Akt einen Stecker zieht, die Bühne dunkel und der
Zuschauerraum hell wird - birgt die Inszenierung viel Amüsantes,
Abgründiges, Witziges, Erhellendes.
Gefahr der Reizüberflutung
Danach wird es lauer, und gegen Schluss zerfallen Konzept und Singspiel so,
dass der Regisseur mit letztem Humor Osmin das Ende der Story einklagen
lässt. Zuvor durfte Osmin (nicht restlos schlüssig) via TV Bassas großmütige
Freilassung der beiden Paare verkünden. Zu viel packt Herheim hinein in
seine Version der "Entführung", die sich so bilderreich auf das Gefangensein
der Geschlechter in ihren Rollen, in ihren Nöten einlässt, die das
Paar-Verhalten demaskiert und die letzte Panik vor der Hochzeit so frech und
komisch wie verstörend beschreibt. Da gehen die Bräutigame ihren Bräuten
dreist an die Wäsche, robben unter Tüllröcken hervor, treiben Belmonte und
Pedrillo mit Osmin ihre Männerscherze beim Terzett: "Marsch, marsch,
marsch".
Herheim ironisiert diesen Hahnenkampf filmisch gekonnt, wie er überhaupt die
gesamte Inszenierung mit virtuosen Video-Einspielungen ästhetisiert oder
kommentiert. Grandiose Überblendungen, perfekte Verschiebungen und
Lichtspiele verwandeln die klassizistisch klaren, durch hohe Fenster
gegliederten (Traum-)Räume von Gottfried Pilz, der sich mit seiner ersten
Festspiel-Kollektion auch als Brautausstatter profilierte.
Gegen die wortreiche, optische Reizüberflutung kämpfte Ivor Bolton am Pult
des Mozarteum Orchesters auf fast verlorenem Posten. Ein wenig pauschal und
deftig klang sein Mozart schon. Ob zu viele Münchner Händel-Opern ihm den
Blick für die Differenzierungen, für die feine Charakterzeichnung schon
dieser frühen Mozart-Menschen getrübt haben? Mit kräftigen Farben
verschaffte er dem Orchester Gehör und den Sängern, die er vor extremen
Tempi bewahrte, eine solide Grundlage, auf der sie sich mit aller Spiellust
austoben konnten. Allen voran Diana Damrau als handfeste Blonde mit keckem
Charme und bravourösem Gesang.
Dietmar Kerschbaum hielt als Pedrillo mit kernigem Tenor bestens mit. Beide
sind nicht Diener, sondern Freunde des hohen Paares Konstanze und Belmonte.
Schien Iride Martinez anfangs stimmlich leicht befangen, so sang sie sich
zunehmend frei und brillierte schließlich in der Marternarie. Jonas
Kaufmann passte als Typ perfekt, klang jedoch mit leicht baritonal
timbriertem Tenor anfangs leicht fremd. Als Osmin mit wendigem, tiefem
Bass trieb Peter Rose sein böses Spiel. Am Schluss (wie zu Beginn) noch
einmal als Pfarrer, der zum wüsten "Erst geköpft, dann gehangen" die Paare
segnete.
Kein Wunder, dass sie verstört von der Bühne torkelten. Und viele
Premierengäste empört buhten, bevor wieder ein Kind lachte. Uns auslachte?
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