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Neue Zürcher Zeitung, 14. 01.
2003 |
Marianne Zelger-Vogt |
Mozart: Idomeneo, Zürich, Januar 2003
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Nach Menschenmass
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Mozarts «Idomeneo» im Zürcher
Opernhaus |
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Wer sich an die «Idomeneo»-Inszenierung
erinnert, die 1980 den Zürcher Mozart-Zyklus von Jean-Pierre Ponnelle und
Nikolaus Harnoncourt eröffnet hat, sieht den riesigen Neptun-Kopf mit
aufgerissenem Mund vor sich, der die Bühne dominierte. In diesem Kopf hat
Ponnelle das Fatum, dem die Figuren von Mozarts erstem dramatischem
Meisterwerk unterworfen sind, Bild werden lassen. Nahe der heimatlichen
Küste ist der siegreich aus Troja zurückkehrende Kreter- König Idomeneo in
Seenot geraten. Um den Meeresgott zu besänftigen, gelobt er, ihm den ersten
Menschen zu opfern, der ihm an Land begegne, wenn er gerettet werde. Dass
das Opfer Idomeneos eigener Sohn ist, löst die inneren Nöte und Seelenstürme
aus, von denen diese Oper handelt - bis eine mächtige Stimme gebietet:
«Idomeneo sei nicht länger König, sondern Idamante, und Ilia werde seine
Gemahlin.» Wenn diese Stimme (der Bass von Giuseppe Scorsin) ertönt,
erscheint auch auf Gilles Aillauds Bühne ein in Stein gemeisselter Kopf,
doch dieser bildet lediglich ein Dekorationselement unter vielen und hat
keine monumentalen Ausmasse.
Die unterschiedliche Bedeutung Neptuns ist symptomatisch für die beiden
Inszenierungen. Bei Klaus Michael Grüber bestimmen die singenden Figuren den
Massstab, es gibt keine Übermächte, auch kein Ungeheuer, das Angst und
Schrecken verbreitet, nur den Menschen und die (mediterrane) Natur. Und auch
diese zeigt sich gebändigt: ein Küstenstrich mit Mauerfragmenten,
Gesteinsbrocken, Lavendelbüschen und einer Steintreppe vor wechselnden
Prospekten mit Meeresszenerien. Eine zarte Ornamentik zieht sich von den
Kulissen über die Kostüme (Eva Dessecker) zum bunten Mosaikboden, der vom
Parkett aus leider erst im dritten Akt erkennbar wird. Es sind im
Wesentlichen die Stilmittel, die Grüber und sein Ausstatterteam schon für
Monteverdis «Ulisse» verwendet haben.
Dass «Idomeneo» das Sturm-und-Drang-Werk des 25-jährigen Komponisten ist,
wird bei Grüber einzig in der Beziehung des Königssohns Idamante zur
gefangenen trojanischen Prinzessin Ilia deutlich. Der schicksalhafte Moment
des Gelübdes, das Ungeheuer, der Aufstand des vom Chor mit machtvoller
Stimme versehenen Volkes, das seinen Herrscher zum Vollzug des Opfers
zwingen will: Dies alles wird hier so unspektakulär, ja beiläufig in Szene
gesetzt wie der Aufruhr der Elemente. Bezeichnenderweise findet das
Liebespaar denn auch das stärkste Rollenprofil. Liliana Nikiteanus Idamante
erscheint als eine Mischung zwischen Amadeus und Cherubino, impulsiv,
überschwänglich in Stimme wie Körpersprache. Für den Ausdruck des Schmerzes
allerdings wünschte man sich dunklere, kräftigere Farben. Am reinsten
verkörpert Malin Hartelius als Ilia Grübers Ideal von Natürlichkeit. Leicht
und entspannt führt sie ihren schlanken Sopran, dem eine Spur Herbheit
apartes Timbre verleiht, und ihre beredte Gestik wirkt intuitiv.
Merkwürdig gespalten nimmt sich daneben Jonas Kaufmanns Idomeneo aus - weil
der Kreter-König an seinem unheilvollen Gelübde innerlich zerbricht oder
weil die Stimme des Tenors sich zwischen den ruhigen, weich und klangvoll
intonierten Legato-Passagen und den gepresst gesungenen hohen Koloraturen
gleichsam teilt? Auch Luba Orgonasova als Ilias unglückliche Rivalin
Elettra findet nicht zu gestalterischer Einheit. Während sie sängerisch mit
virtuoser Beweglichkeit brilliert, bleibt sie darstellerisch völlig
statisch, nicht so sehr eine Einsame, Ausgegrenzte als vielmehr eine Figur à
part. Dass sie in ihrer fulminanten Schlussarie jede Raserei vermeidet,
entspricht allerdings nicht allein dem Temperament der Künstlerin, sondern
auch dem musikalischen Stil der Aufführung.
Christoph von Dohnányi, den man jetzt im Opernhaus erstmals als
Mozart-Interpreten erlebt, hat sich für ein modernes Instrumentarium und für
eine namentlich in den Rezitativen gekürzte Fassung entschieden. (Die Rolle
des königlichen Ratgebers Arbace geht dabei auf in der des Oberpriesters,
dem Christopher Hux einen wohlklingenden, klar zeichnenden Tenor leiht.) Die
Zielrichtung ist klar: Dohnányi sieht in «Idomeneo» weniger das genialische
Jugend- als vielmehr das reife Meisterwerk. In minuziöser Feinarbeit holt er
dessen melodische Schätze mit dem äusserst konzentriert agierenden Orchester
ans Licht. Dass er sich dabei meist im Piano-Bereich bewegt und langsame
Tempi wählt, führt trotz dem homogenen Klangbild zu einem Höchstmass an
Transparenz. Nicht bebendes Espressivo, wie man es bei Harnoncourt vernommen
hat, sondern resignative Melancholie prägt Dohnányis Lesart. Aus dieser
Sicht gewinnt «Idomeneo» eine Abgeklärtheit, deren Kehrseite die
spannungslose Ästhetik des Bühnengeschehens ist. |
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