Stuttgarter Nachrichten, 24.01.2003
Von Werner Müller-Grimmel
Mozart: Idomeneo, Zürich, Januar 2003
Fett in Pose geworfen
Grüber inszeniert Mozarts "Idomeneo" an der Zürcher Oper
Als Mozarts "Idomeneo" im Januar 1781 in München uraufgeführt wurde, hatte die Gattung der Opera seria ihren Zenith überschritten. Komponisten wie Gluck oder Traetta waren bereits zwanzig Jahre vorher darangegangen, sie zu reformieren. Auch Mozart hielt sich bei seinem Münchner Dramma per musica nicht mehr streng an die Form der Seria. So enthält sein "Idomeneo" gewichtige Chöre, orchestrale Naturschilderungen, dramatisch-ausladende Accompagnato-Rezitative und Tänze. Was bei allen musikalischen Kostbarkeiten der Partitur schon zur Entstehungszeit neu aufkommenden opernästhetischen Vorstellungen nicht mehr entsprach, musste im 19. Jahrhundert erst recht veraltet wirken. schematisch wirkende Folge von Seria-Nummern war wegen gewandelter Publikumserwartungen ohne Eingriffe schwer zu vermitteln.Erst in jüngster Zeit ist - nicht zuletzt durch die Originalklang-Bewegung - der Zugang zu vorklassischen Musiktheaterkonzepten wieder eröffnet worden.

Am Opernhaus Zürich, das bereits auf eine entsprechende Tradition "historisch" musizierter Produktionen unter der Leitung von Harnoncourt oder Gardiner zurückblicken kann, ist nun für Klaus Michael Grübers Neuinszenierung des "Idomeneo" als Dirigent ausgerechnet Christoph von Dohnányi verpflichtet worden, der bisher dort vor allem Werke des frühen zwanzigsten Jahrhunderts geleitet hat. Grüber und Dohnányi halten nichts von historischer Korrektheit.

Sie haben eine Fassung mit Strichen erarbeitet, die einem Publikum von heute zugänglich sein soll. Grüber setzt auf ein Gleichgewicht "erzählerischer und kontemplativer Momente" und auf "Natürlichkeit im Spiel". Dohnányi ist der Ansicht, dass man Mozarts Musik "mit heutigen Mitteln interpretieren muss, mit modernen Instrumenten, um das leider immer noch wenig bekannte Werk in die Zukunft zu tragen". In Zürich bleibt von diesen guten Absichten viel auf der Strecke.

Dohnányi bevorzugt einen dunkel-wattigen, pastosen Orchesterklang, der Farbenfrische, Transparenz und schlanke Schärfe vermissen lässt. Das tönt eher gestrig als zukunftsträchtig nach ungeniert romantischer Mozart-"Übermalung" alter Schule mit teigig ausgewalzten Streicher-Accompagnati, aufdringlichen Holzbläsern und magerem Continuo. Dabei spielt das Orchester fabelhaft, und auch Dohnányi ist ein fein gestaltender, nobler Musiker, der sein Handwerk souverän beherrscht. Mag sein bei Mozart etwas breit klingender interpretatorischer "Dialekt" bis zu einem gewissen Grad Geschmackssache sein, der Vermittlung ungewohnter Seria-Dramaturgie ist er jedenfalls nicht dienlich.

Dies gilt auch für Grübers Inszenierung. Über weite Strecken wird quasi konzertant in den antikisierend-bunten Kostümen von Eva Dessecker vor ansprechender Kulisse gesungen. Von "Natürlichkeit des Spiels" sind die Bewegungen der Darsteller weit entfernt. Von der Personenführung im Stich gelassen, beschränken sie sich weit gehend auf abgeschmackte Posen und klischeehafte Gesten, recken eine Faust, schlenkern ihre Mäntel, rennen zur Abwechslung etwas herum oder kriechen am Boden. Ähnlich unbeholfen, ab und zu gar albern, wirken die Aktionen des von Ernst Raffelsberger einstudierten Chors, der nach Anfangsschwierigkeiten immerhin vokal zu großer Form aufläuft.

Gilles Aillaud hat dazu pittoreske kretische Mauerruinen auf die Bühne gestellt, die gelegentlich unmotiviert etwas hin- oder herfahren. Im Hintergrund deuten bemalte Tücher mit zarten, hellen Aquarellfarben das Meer an, und später wachsen hydraulisch ein Opferstein oder eine riesige Steinbüste lautlos aus dem Boden, um nach Erfüllung ihrer szenischen Pflicht ebenso lautlos wieder darin zu versinken. Das ist alles recht hübsch, bleibt aber insgesamt ebenso blass wie die unentschlossene Inszenierung, die das Drama weit gehend der Musik überlässt.

So muss man sich bei dieser Produktion hauptsächlich an die durchweg exzellenten Sänger halten. Liliana Nikiteanu (Idamante), Malin Hartelius (Ilia) und Luba Organasova (Elektra) übertreffen sich gegenseitig an Koloraturenbrillanz und vokaler Geschmeidigkeit, und Jonas Kaufmann (Idomeneo), ein Traum von einem Tenor, macht die Aufführung, die szenisch weit hinter der Schlüssigkeit von Joachim Schlömers Ulmer Tanzversion vor zehn Jahren zurückbleibt, allein schon zu einem unvergesslichen Stimmfest.
 






 
 
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