Opernwelt, Mai 2001
Johannes Mundry
Mozart: Idomeneo, Kassel, ab 17.3.2001
Die Nerven der Herrscher - Klingendes Gütesiegel
Das „Soffrir più non puó / Peggio é di morte" („Mehr kann man nicht ertragen / Schlimmer als der Tod") aus dem Quartett des dritten Akts scheint als Motto über Antje Kaisers Inszenierung von Mozarts „Idomeneo" zu schweben. Denn angegriffen von der Größe des Geschehens sind sie alle. Und das äußert sich höchst vielfältig: Idamantes muss tippeln, Idomeneo gerät in Zuckungen, Ilia läuft rastlos über die Bühne. Elektra kann nicht stillhalten. Selbst der Oberpriester benimmt sich anders, als die feierliche Würde seines Amtes es geböte. Und erst das Volk: Ein Zittern, Zucken. Zappeln. Keine Regung des Glücks, nichts, nirgends. Folgerichtig wirkt Elektra, deren Unglück ja offensichtlich ist, noch am authentischsten. Idamantes, zum neuen Herrscher bestellt und der Wunschfrau zugeführt, kann die Last der zugeteilten Rolle nicht schultern. Er fängt zu zittern an, gerät in eine Art Trance, die auch noch anhält als der Vorhang gefallen ist. Eindrucksvoll-bedrückend dieses Schlussbild.

Nur in der Vater-Sohn-Beziehung Idomeneo-Idamantes lässt die Regisseurin Rührung zu: Die Wiedererkennungsszene am Gestade wird zum emotionalen Höhepunkt des Abends. Sonst aber herrscht Abkapselung, Verinnerlichung, tief-grübelnde Nabelschau. Augenfällig wird dies alles in den wechselnden, schematischen Konstellationen, in denen die vier Protagonisten das Quartett vortragen: Keine Regung auf den Gesichter, keine warme Geste.

Bei solch einem Regiekonzept verbot sich natürlich ein antikisierendes Bühnenbild. Stilisierung einerseits, anachronistischer Realismus andererseits bestimmten die Szenerie. Graue Zackenlinien ohne den Charme des Südens. Spitzbergen ähnlicher als dem lieblichen Kreta, stellen das Meer dar, die Kontur einer einsamen Palme muss für das ganze Gestade herhalten (wer warf die Messer, die im Palmenstamm steckten und Ilias Körperformen nachzeichneten?). Rätselhaft blieben Absturz und Wiederauferstehung eines blauflügligen Ikarus.
Kontrast und Blickfang dann im zweiten Akt: Ein Vierzimmer-Haus im Querschnitt, auf das Spießigstes tapeziert, jede der vier Hauptpersonen bleibt in ihrem Raum. Ilia freilich muss ihren mit einer zahmen Ratte teilen. Im Finale dann eine entleerte Bühne, allein das lichterkranzdekorierte Schiff namens "Argos" lockert zeitweilig die Tristesse auf.

Bleiben in der Regie Fragen offen, gab es im musikalischen Teil des Abends kaum etwas auszusetzen. Marc Piollets Mozart-Dirigate sind schon so etwas wie ein Gütesiegel in Kassel, und wieder wusste sich der erste Kapellmeister seiner Aufgabe meisterhaft zu entledigen: Der Regie angepasst nahm er die Tempi etwas gemessener als üblich, doch von hoher Präzision und einem superben Fingerspitzengefühl für die kleineren und größeren Kontraste von Mozarts Seria.

Sängerischen Lorbeer durften alle Hauptrollen beanspruchen, doch an erster Stelle muss der als Gast verpflichtete Jonas Kaufmann in der Titelrolle genannt werden. Seine Stimme überzeugte vom ersten Ton an durch die Fähigkeit zu großen Bögen und stufenlosen Übergängen. In den Szenen mit Idamantes entstanden bewegende Momente. Nora Sourouzian als Sohn und kommender Herrscher fand nach etwas holprigem Start ab ihrer zweiten Arie zu einem ebenfalls weit mehr als befriedigendem Auftritt, In den Rezitativen nicht minder als in den Arien und Ensembles verfügte sie über eine flexible Stimme, die allen Schattierungen der Rolle entsprechendes vokales Timbre heimischen konnte. Petra Labitzke gab die Ilia weich und mädchenhaft. Krankheitsbedingte Ausfälle zwangen das Staatstheater in der zweiten Aufführung zu einer doppelten Änderung der Premierenbesetzung. Für Petra Schmidt sprang Claudia Kunz als Elektra ein, die sich des Gastspiels mit hochdramatischem stets souveränen Auftreten entledigte. Für den ebenfalls erkrankten Premieren-Arbaces wurde Uwe Eiköder verpflichtet, der durch lyrische Fähigkeiten überzeugte. Der Chor war von Adrian Müller bestens vorbereitet.

Staatstheater Kassel, Mozart Idomeneo, Premiere 17.03.2001, besuchte Vorstellung 25.03.2001






 
 
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