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Concerti, 15. September 2023 |
von Johann Buddecke |
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„Was spricht gegen ein bisschen Herzschmerz?"
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Mit seinem jüngsten Filmmusik-Projekt blickt Startenor Jonas Kaufmann über den Tellerrand des Opern- und Konzertrepertoires.
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Auf Ihrem aktuellen Album wagen Sie einen Ausflug in die Filmmusik.
Sind Sie ein großer Filmfan?
Jonas Kaufmann:
Ich bin niemand mehr, der dreimal die Woche ins Kino geht. Ich habe mir als
Familienvater in den letzten Jahren vorgenommen, den Kalender so zu
gestalten, dass ich nicht mehr monatelang in der Fremde sitze. Dadurch sind
die Zeiten vorbei, in denen ich auf Tournee immer wieder ins Kino gegangen
bin. Lange war es aber absolut normal, freie Zeit im Kino zu verbringen,
damit mir nicht die Decke auf den Kopf fällt. Es gab kein Netflix und kein
Amazon, Telefonieren kostete abartig viel Geld, Skype war noch nicht
erfunden, also gab es nicht so viele Alternativen seinen Tag rumzukriegen.
Wie genau haben Sie die Stücke für Ihr neues Album ausgewählt?
Das Angebot ist riesig.
Kaufmann: Meine
Shortlist an Film-Favoriten ist nicht die Shortlist der Aufnahmetitel.
Obwohl mir klar war, wie hochklassig Filmmusikkomponisten arbeiten, habe ich
nicht gewusst, wie viele großartige Titel es überhaupt gibt. Am Anfang
hatten wir eine Liste, mit der ich locker drei Alben hätte aufnehmen können.
Das Material immer weiter zu reduzieren, war gar nicht einfach. Außerdem hat
sich bei manchen meiner Lieblingsfilme wie „Eins, zwei, drei“ von Billy
Wilder oder Henri Verneuils „Der Clan der Sizilianer“ bislang einfach keiner
die Mühe gemacht, für die dazugehörige Musik einen Text zu schreiben.
Wieso wird Filmmusik im Gegensatz zu den Werken großer
klassischer Komponisten im Konzertsaal nicht gleichberechtigt auf die
Programme gesetzt?
Kaufmann: Als die
Filmmusik wirklich aus den Startlöchern kam, waren mit Künstlern wie
Korngold gleich die großen Komponisten der Zeit mit von der Partie. Da ist
von Beginn an eine Qualität dagewesen, die wirklich aufhorchen lässt. Und
ich denke auch, dass sich Künstler wie Ennio Morricone eher als klassische
Komponisten begriffen haben. Viele haben für den Konzertsaal komponiert,
sind damit aber nicht annähernd so erfolgreich gewesen.
Woran
lag das Ihrer Meinung nach?
Kaufmann: Ich
glaube, dass das offensichtliche Kreieren von Sentiment und Emotionen über
Musik auf der klassischen Bühne plötzlich verpönt war. Für mich ist da der
Zweite Weltkrieg, der diesen Bruch markiert. Vorher hat man Operetten
geschrieben oder Musicals, die den Leuten Spaß gemacht haben und die das
Publikum mitgerissen haben. Plötzlich kam man aber an einen Punkt, an dem
man sich auf der Opern- und Konzertbühne eher mit schwer zugänglichen
Musikstücken auseinandergesetzt hat. Im Kino hingegen haben sich
gleichgesinnte Paare von Komponisten und Regisseuren gegenseitig zu noch
mehr Gefühl angestachelt. Ähnlich wie es vielleicht in der Oper bei einer
Neuproduktion zwischen Dirigent und Regisseur der Fall ist.
Wertet man Filmmusik ab, weil sie in der Betrachtung nur in Kombination mit
dem bewegten Bild funktioniert?
Kaufmann:
Im Konzert wird die Musik natürlich aus ihrem Zusammenhang herausgerissen,
stimmt schon. Auf der anderen Seite sind ganze Rundfunkprogramme auf
Filmmusik spezialisiert und kommen hervorragend bei den Zuhörern an.
Mittlerweile gibt es Konzertreihen, bei denen entsprechende Filmausschnitte
zu der Musik gezeigt werden, um das vorgesehene Match zusammenzubringen. Vor
ein paar Jahren habe ich mit Antonio Pappano Konzerte in Rom gemacht, und
weil es die Zeit der Eröffnung der Filmfestspiele war, hat der die Musik aus
Star Wars gespielt. Das Publikum hat getobt! Wenn sich ein richtig gutes
Orchester hinsetzt und diese Stücke spielt, sieht man erstmal, was da
wirklich an Qualität schlummert.
Sprechen wir also von
besonderen Anforderungen an das Orchester und die Interpreten?
Kaufmann: Es gibt natürlich besonders spezialisierte
Klangkörper. Ich meine es aber in Bezug auf die Aufnahme selbst. Mir war
nicht bewusst, dass es Stücke gibt, die so gigantisch orchestriert sind,
dass sie in einem normalen Studio nicht aufgenommen werden können. Es
entsteht ein unheimlicher Klangmatsch. Jeder spielt dem anderen rein, und
letztlich vibriert die ganze Halle. Wir haben das versucht, es war aber eine
Katastrophe. Es müssen dann Instrumentengruppen einzeln aufgenommen und
später zusammengefügt werden. Das ist natürlich im Entstehungsprozess
weniger erfüllend. Das Ergebnis ist dafür umso beeindruckender.
Müssen Sie sich arg umstellen, wenn Sie plötzlich Filmmusik statt
Oper singen?
Kaufmann: Ja und nein. Man
läuft sicher Gefahr sich zu sehr zu verbiegen, je weiter man sich von seinem
angestammten Repertoire entfernt. Aber nur durch Neues gibt es auch Anstoss
zur Weiterentwickung. Ich kann mich zum Beispiel an die Aufnahme von
„Reality“ erinnern. Da hatte ich das Original so sehr im Kopf, dass ich
zuerst versucht habe, es auch exakt so zu kopieren. Später kam der
Aufnahmeleiter zu mir und meinte, ob ich es nicht mal mit der Stimme von
Jonas Kaufmann singen wollte. Man versucht manchmal sich zu sehr in das
Repertoire hineinzuwühlen. Da muss man aufpassen sich nicht zu
vergaloppieren. Auf dem Album ist eine extreme Bandbreite an Musikstilen
vertreten. Von echten Tenor-Arien über Musical und extrem intimen Nummern
bis zu Pop-Stücken. Manche Stücke sind hier eindeutig für einen Tenor
geschrieben, andere zumindest für eine ausgebildete Stimme und wieder andere
für einen Pop Klang. Es geht also darum, dem Stil und Duktus der Stücke
gerecht zu werden ohne sich und seiner Stimme untreu zu werden.
Befürchten Sie hämische Kommentare, wenn Sie sich diesem Repertoire
zuwenden?
Kaufmann: Eigentlich nicht! Klar
ist, ob ich nun neapolitanische Canzonen, Operetten-Melodien oder
Weihnachtslieder singe: Es kann und soll nicht nur positive Reaktionen
geben. Einmal wurde ich gefragt, ob auf meinem Album nicht ein Hinweis für
Diabetiker sein müsste, weil es so süßlich sei. Was spricht gegen ein
bisschen Herzschmerz? Emotinonales ist eben nicht jedermans Sache. Außerdem
kenne ich keinen Kinobesucher, dem nicht die eine oder andere
Filmmusikmelodie bereits eine Träne in die Augen gezaubert hätte. Dazu muss
ich sagen, dass ich den Luxus habe, selbst zu bestimmen, was ich aufnehmen
möchte und was nicht. Wenn es dann allen anderen auch gefällt, bin ich froh,
wenn es niemandem gefällt außer mir, bin ich mir wenigstens treu geblieben.
Würden Sie denn gerne mal eine Rolle in einem Film übernehmen?
Kaufmann: Ach, es würde mich schon
interessieren. Mir sind auch ein paar Rollen angeboten worden, sowohl fürs
Kino als auch fürs Fernsehen. Es wurde aber immer jemand gesucht, der singen
kann und ein bisschen schauspielern. Dann lehne ich aber lieber ab (lacht).
Wenn, dann möchte ich als Schauspieler engagiert werden und nicht als
Sänger, der es auch einigermaßen hinbekommt, einen Dialog zu sprechen. Aber
vielleicht kommt das ja noch. Es wäre ein interessantes Abenteuer. |
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