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Semper Magazin |
Interview: Axel Brüggemann |
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Ist Ihre Stimme modern, Herr Kaufmann?
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JONAS KAUFMANN SINGT »CAVALLERIA RUSTICANA« UND »PAGLIACCI« BEI DEN OSTERFESTSPIELEN IN SALZBURG. |
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Jonas Kaufmann ist die Stimme unserer Zeit. Er
beherrscht alle Lagen — und doch ist sein Gesang charakteristisch, jede
einzelne Note erweckt er zum Leben, in jeder Melodie befragt er die
Psychologie, in jeder Nuance sendet er eine Botschaft. Kaufmann ist
technisch perfekt und zutiefst emotional. Bei den Salzburger
Osterfestspielen stellt er sich nun einer neuen Herausforderung: Er singt
die Hauptrollen in den Opern-Einaktern »Cavalleria rusticana« und
»Pagliacci«.
Herr Kaufmann, Ihre Stimme ist in aller Munde, Sie
haben neue Standards gesetzt, und fast scheint es, als wenn Sänger wie Sie
den Wagner- und Verdigesang der letzten Jahre grundlegend verändert hätten.
Statt der lauten, derben Tenöre hören wir nun die klugen Tenöre ...
Ich möchte mir das nicht auf die Fahnen schreiben, aber ich glaube
schon, dass sich da vieles geändert hat: Die Stimmen, besonders bei Wagner,
sind dynamischer geworden. Das Klischee, dass alles laut sein muss,
existiert nicht mehr. Immer mehr Menschen verstehen, dass Musik auch Legato
braucht, Nuancen ... und ich bin sicher, dass Verdi und besonders Wagner
sich das auch so vorgestellt haben. Wenn man Menschen eine Partitur der
beiden zeigt, staunen viele Bauklötze, dass da mindestens so viele Piani
vorkommen wie Forte-Stellen. All das ist einige Zeit lang in Vergessenheit
geraten, als es in der Oper oft nur auf die Dezibelzahl ankam und weniger
auf den Inhalt.
Warum ändern sich diese Dinge? Ist die Klassik
auch an Moden gebunden?
Es kann schon sein, dass es etwas mit
den Moden zu tun hat und die Oper nach dem Prinzip des Catwalks
funktioniert: Mal ist der Rock kurz, dann lang — und manchmal trägt man gar
keinen. Aber ich glaube, bei uns ist das am Ende eben doch anders. Allein,
weil wir in anderen Zeitkategorien denken — und weil es bei uns immer einen
Ausgangspunkt gibt: die Zeit und die Ideen der Komponisten.
Aber
trotzdem gibt es auch in der Musik immer wieder neue Ästhetiken.
Fakt ist, dass es diese Stimmtiere, die alles in Grund und Boden
gebrüllt haben, heute so nicht mehr gibt. Ich kann mir vorstellen, dass das
sehr viel damit zu tun hat, dass wir uns wieder lieber mit den Ursprüngen
der Werke beschäftigen, mit der Frage, was Verdi und Wagner eigentlich
wollten. Unter diesem Anspruch waren die lauten Tenöre eher eine Verirrung
der Mode. Übrigens gab es sie in der 500-jährigen Geschichte der Oper ja
auch nur ein einziges Mal: Anfang der 1950er-Jahre. Auf Dauer hat sich diese
Art zu singen eben nicht durchgesetzt.
Ihre Stimme klingt
besonders klug — Sie gestalten jedes Detail und liefern eine Psychologie
Ihrer Charaktere ab. Orientieren Sie sich dabei auch an der Sprache?
Die Sprache — das Wort und seine Aussage — ist natürlich die Grundlage,
aber wir sind ja keine Schauspieler, sondern Sänger. Unser Werkzeug ist
dieser amplifizierte, der verstärkte Klang. Den muss man nutzen. Wenn man
bei guten Komponisten nachschaut, wird andersherum schnell ein Schuh aus
Ihrer These. Sehen Sie sich die Partituren von Strauss oder Wagner an: Oft
spielen sie mit einem großen Orchester, und das, was wir zu singen haben,
ist manchmal in komplexen Rhythmen geschrieben, dass man denkt: »Oh Gott!
Wie soll ich das nur lernen, geschweige denn natürlich vortragen?« Und ich
glaube, dass darin die eigentliche Kunst besteht: Selbst die
kompliziertesten Noten müssen wir uns so aneignen, dass der Komplexität der
eigentlichen Aussage am Ende nichts im Wege steht, dass nichts verloren geht
von den Gedanken der Komponisten — und dass es sich trotzdem »richtig«
anhört. Das Ziel bei diesen Stellen muss sein, dass die Leute im Publikum
denken: »Das hört sich ja an wie gesprochen!«
Was macht Stimmen
wie Ihre so aktuell?
Ich weiß gar nicht, ob meine Stimme
wirklich so aktuell oder modern ist. Es gibt an der Wiener Staatsoper einen
wunderbaren Almanach, in dem man nachschlagen kann, was die einzelnen
Künstler in den jeweiligen Spielzeiten so gemacht haben. Und da gibt es
Fälle, die an einem Abend »Le nozze di Figaro« und am anderen die
»Götterdämmerung« singen ...
Das gab es in den Stadttheatern der
1970er-Jahre überall ...
Ja, und das war sicherlich nicht immer
perfekt, aber es zeigt doch, dass es von Seiten der Dirigenten und der
Sänger ein Ziel war, die Stimmen in ihrer Vielfalt zu präsentieren. Dass
Sänger vielleicht sogar davon profitiert haben, an einem Abend Mozart und am
anderen Wagner zu singen. Bei mir ist es auf jeden Fall so: Die Oper ist so
vielfältig, und ich bin sehr froh, dass ich auch meiner Stimme diese
Abwechslung gönnen kann.
Aber trotzdem verfolgen wir auch den
Trend der Spezialisierung: für Barock, für Wagner, für das Lyrische ...
Ich befürchte, dass dieser Fetisch langfristig ungesund ist. Wir treiben
die Kunst durch die Spezialisierung auf die Spitze: Dann soll es noch
lauter, noch extravaganter, noch dramatischer sein — und das Eis wird immer
dünner. Das ist weder gesund für den Sänger noch für die Details der Musik.
Sie haben Recht, dass besonders Wagner ja ein Wespennest ist: Wenn man
einmal damit anfängt, wollen alle einen nur noch für Wagner-Rollen buchen.
Und wenn man sich darauf einlässt, geht es schnell, dass man in diesem
Kreislauf umkommt. Auch deshalb ist es für mich wichtig, immer wieder neue
Formen der Musik auszuprobieren, so wie nun mit meinem Album »Du bist die
Welt für mich« mit Liedern der 20er-Jahre
Auf dem Sie unter
anderem »Dein ist mein ganzes Herz« und »Gern hab ich die Frau'n geküsst«
singen.
Genau, und Sie glauben gar nicht, wie viel Spaß es
macht, sich genauso ernsthaft auf dieses vermeintlich leichte Genre
einzulassen wie auf Mozart oder Verdi oder Wagner. All diese Musik war immer
modern —und wird es auch bleiben.
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