Hör Zu, 1. Oktober 2015
Autor: Thomas Kunze
 
 
„Auch Puccini war früher Pop”
Das halbe Dutzend ist voll! Jonas Kaufmann erhält in diesem Jahr bereits zum sechsten Mal den ECHO Klassik. Gerade ist auch seine neue CD "Nessun Dorma" mit Arien des italienischen Komponisten Giacomo Puccini erschienen.

HÖRZU sprach exklusiv mit dem Weltstar.
Interview mit Jonas Kaufmann
 
HÖRZU: Herr Kaufmann, herzlichen Glückwunsch! Sie werden bei der ECHO-Verleihung wieder als "Sänger des Jahres" ausgezeichnet. Es scheint fast so, als hätten Sie den Preis abonniert. Würden Sie sich Sorgen um Ihre Karriere machen, wenn Sie ihn einmal nicht erhalten sollten?

Jonas Kaufmann: Danke, danke! Nein, Sorgen würde ich mir machen, wenn die Stimme nicht mehr so läuft wie gewohnt. Oder wenn keine attraktiven Angebote mehr kommen.

HÖRZU: Vergangenes Jahr wurden Sie kurz vor der Preisverleihung krank. Wie groß ist in solchen Momenten die Versuchung, trotzdem auf die Bühne zu gehen?

Jonas Kaufmann: Die Versuchung ist sehr groß, weil man das Publikum und die Veranstalter nicht enttäuschen möchte. Dass ich im vergangenen Jahr nicht auftreten konnte, tat mir besonders leid, da José Carreras damals eine wunderbare Laudatio hielt - und ich war krank zu Hause. Aber wenn man nicht gesund ist, soll man nicht auftreten. Diese eiserne Regel konsequent zu befolgen ist oft hart.

HÖRZU: Sie bekommen den Preis für Ihre CD "Du bist die Welt für mich", einen Ausflug in das Berlin der 1920er-Jahre. Nun folgt eine CD mit Arien von Puccini. Ein sehr großer musikalischer Unterschied?

Jonas Kaufmann: Ja und nein. Nein insofern, als die großen Hits für Tenöre, die Franz Lehár für Richard Tauber geschrieben hat, genauso anspruchsvoll sind wie die Arien von Puccini. Nicht umsonst spricht man bei Evergreens wie "Dein ist mein ganzes Herz" oder "Freunde, das Leben ist lebenswert" von "Puccini-Lehár". Daneben sind, vor allem zu Beginn der Tonfilmära, einige wunderbare Songs entstanden, für die man eher eine Schmusestimme à la Peter Alexander braucht. Auf keinem meiner bisherigen Soloalben ist die stimmliche Bandbreite so groß wie auf diesem: von der Schlagerstimme bis zum Heldentenor.

HÖRZU: Und nun also Puccini. Ist auch er ein Komponist für die Massen?

Jonas Kaufmann: Ja, auf jeden Fall! Zu Carusos Zeit waren die Arien von Puccini Pophits - nicht zuletzt dank der Schallplatte. Und wie etliche Beispiele zeigen, haben sie auch heute noch das Zeug dazu.

HÖRZU: Manche Kritiker rümpfen bei Puccini zuweilen ein wenig die Nase?

Jonas Kaufmann: Dass Intellektuelle seine Werke als "Dienstmädchenopern" bezeichnet haben, zeigt nur, dass sich die emotionale Kraft seiner Musik über alle Barrieren hinweggesetzt hat, auch über Standesdünkel und Schwellenangst vor den heiligen Opernhallen.

HÖRZU: Die Arie "Nessun Dorma" kennt jeder, spätestens seit die Drei Tenöre sie zur WM 1990 gesungen haben. Den Vergleich scheinen Sie nicht zu fürchten?

Jonas Kaufmann: Wenn ich das tun würde, müsste ich mindestens zwei Drittel meines Repertoires streichen. Dass ich mich lange Zeit nicht an "Nessun Dorma" herangetraut habe, hat den schlichten Grund, dass ich einen Riesenrespekt hatte vor der Magie und der unglaublichen Sogkraft dieser Arie. Noch heute bekomme ich jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich sie höre.

HÖRZU: Wie selbstbewusst muss man als Tenor sein? Braucht man nicht ein sehr großes Ego?

Jonas Kaufmann: Kein größeres als eine Sopranistin, ein Bariton oder ein Dirigent. Eine gesunde Selbstsicherheit reicht durchaus.

HÖRZU: Verdi, Wagner, Schubert, Evergreens der 1920er-Jahre, Puccini, dazu zahlreiche Opernaufführungen: Können Sie eigentlich alles?

Jonas Kaufmann: Einen Sänger, der alles kann, gibt es genauso wenig wie die legendäre Eier legende Wollmilchsau oder den Uniabsolventen mit 20-jähriger Berufserfahrung. Aber ich habe schon immer darauf geachtet, ein möglichst vielseitiges Repertoire zu pflegen. Mich auf sechs, sieben Rollen zu spezialisieren und damit um die Welt zu reisen würde mich furchtbar langweilen.

HÖRZU: Stimmt es eigentlich, dass Sie davon träumen, Filmschauspieler zu sein?

Jonas Kaufmann: Zu sagen, dass ich davon träume, wäre übertrieben. Aber es reizt mich schon sehr, eine Filmrolle zu übernehmen, zumal nach meiner ersten Erfahrung auf diesem Terrain. Das war eine kleine Rolle neben John Malkovich in Michael Sturmingers "Casanova Variations". Seitdem habe ich Lust auf mehr.






 
 
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